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nicht zu einer gleichsam gewaltsamen staatlichen Ordnungssetzung wer-
den, sondern müsse zulassen, dass sich das Leben aus seiner wesenseigenen
Ordnung entfalte.491 Dies meinte Karl Lugmayer, wenn er Spann – bei al-
len sonstigen Vorbehalten – zugute hielt, dass er davon Abstand genommen
habe, „ganze Stände einfach zu mechanisieren“. Er befürwortete Spanns
Einteilung in „geistige“ und „handelnde“492 bzw. politische, kulturelle und
wirtschaftliche Stände und hielt – ebenfalls mit Spann493 – Überschneidun-
gen für möglich, ja häufig.494 Die Stände seien nach einander überlagern-
den Kriterien gebildet.495 Die beste Staatsform sei jene, die eine rangmäßige
Gliederung der Gemeinschaften sehe.496 Daher müsse die Gesellschaft nach
Wertschichten geordnet sein, eine Pyramide bilden497 – ein weiterer Beleg
für die gleichsam als Axiom angenommene Hierarchie der Stände.
Hinweise auf deren genaueres Aussehen finden sich in Ansätzen bei
Richard Schmitz. Dieser um die theoretische Verankerung des ständischen
Gedankens besonders verdiente Mandatar setzte berufsständisches Wesen
nicht mit genereller Parität gleich; Ergebnisse rezenter soziologischer For-
schung gleichsam vorwegnehmend498, hatte er keine Scheu zu sagen: „Die
tatsächlichen Verschiedenheiten zwischen Arbeiter und Bauer, Beamtem
und Gewerbsmann, Akademiker und Waschfrau können nicht weggezau-
bert werden.“ Die Hierarchie der Stände hielt er mit der Forderung, es solle
„keine Privilegierten und keine Minderberechtigten geben“, für vereinbar.499
Für die Gesellschaft als ganze wünschte er gleichwohl eine „Führerfunktion
des Unternehmertums“.500 Leopold Engelhart teilte die Berufe „nach ihrer
sozialen Bedeutung“ ein: Manche erforderten „wesenhaft“ Führerbetätigung,
wie etwa Lehrer, Schriftsteller, Fürsorger, überhaupt geistig Tätige.501
Spann problematisierte sogar die Körpermetapher: Die „entsprechungsmä-
ßige, korrelative ‚organische‘ Ungleichheit ist dennoch verbunden mit Gleich-
gewichtigkeit aller Organe“, aber „was dem Organismus nicht zukommt, ist
[...] die Geistigkeit und das heißt die innere Werteigenschaft jedes Gliedes, je-
491 Pichler, Othmar Spann, 77.
492 K. luGmayer, Grundrisse, 137.
493 H. walter, Ständewesen, 18.
494 orGler, Ständestaat, 228.
495 K. luGmayer, Grundrisse, 145.
496 K. luGmayer, Grundrisse, 138.
497 K. luGmayer, Grundrisse, 135.
498 schwinn, Ständische Verhältnisse, 88.
499 R. schmitZ, Das christlichsoziale Programm, 22; vgl. braun, Der politische Lebensweg, 250;
streitenberGer, Leitbild, 146.
500 seliGer, Führerprinzip, 172.
501 enGelhart, Führertum, 24. 7. DIE BERUFSSTÄNDISCHE
ORDNUNG484
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580