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des Bestandteiles. Blut, Nahrung, Knochen mögen je etwas anderes sein (un-
gleich), an sich sind sie weder wertvoll noch wertlos [...]. Anders die Glieder der
Gesellschaft: Arbeiter, Unternehmer, Priester, Laien, Künstler, Zuhörer, Kö-
nig, Bürger, Trinker, Nüchterne, Begeisterte, Stumpfe – alle sind sie in ihrer
Geistigkeit etwas mit einem ganz eigenen und nur ihnen zukommenden Werte.
[...] Das Geistige hat also als notwendigste, unabweislichste Existenzform die
Werteigenschaft in sich. In dieser Werteigenschaft ist jeder Bestandteil der
Gesellschaft ungleich-wichtig, denn er ist nicht Bestandteil eines Leistungs-
gebäudes, sondern Wertteil eines Wertganzen“.502 In jedem Stand gebe es ver-
schiedene Grade der Innigkeit und unterschiedliche Ränge der Geistigkeit.503
Im Ergebnis nicht anders war das aus der Tradition Vogelsangs kom-
mende Bild menschlicher Ungleichheit. Das 1789 lancierte Verständnis von
Gleichheit hätte für den Aristokraten Auflösung der Gesellschaft bedeutet.
Mit Papst Leo XIII. teilte er die Auffassung von der natürlichen, gottgewoll-
ten Ungleichheit der Menschen. Während vor Gott jeder gleich viel gelte,
brauche es in der Gesellschaft eine Zu- und Unterordnung, und nicht jeder
habe gleiche Rechte und Pflichten, weil nicht jeder die gleichen Fähigkeiten
besitze. Laut RN war Gleichheit nur als Nivellierung nach unten vorstell-
bar504, wie überhaupt „Ungleichheit“ in der ständisch bestimmten Welt ein
positiv besetzter Begriff war.505 Der Papst betonte die strukturelle Vielfalt
der Gesellschaft; diese sei notwendig, denn zur Befriedigung unterschiedli-
cher Bedürfnisse brauche es unterschiedliche Kräfte.506 Franz Rehrl erkannte
selbst im Kreis der Gläubigen Abstufungen: „Der Berghirte wird in anderem
Sinn ein vollkommener Katholik sein als der gelehrte Forscher. Aber jede die-
ser Stufen muss als wertvoll und notwendig gefördert werden.“507
Mehrere der Protagonisten des österreichischen Ständestaates waren in
dieses Denken über Franz Martin Schindler eingeführt worden: Von ihm
hatten sie gehört, dass aufgrund ungleicher leiblich-geistiger Kräfte der ein-
zelnen Menschen nicht jeder für jede Arbeit geeignet sei, allerdings auch
dass Unterscheidungen an Würde und Rang nur im sozialen Leben, nicht
aber in der Ewigkeit erfolgten.508
Johannes Messner übertrug den Gedanken der Ungleichheit auf die Stände,
502 sPann, Der wahre Staat, 189 f.; vgl. Kraus, „Volksvertreter“, 64; schneller, Zwischen Ro-
mantik und Faschismus, 43.
503 heinrich, Schlüsselbegriffe, 346; Pichler, Werk, 33 f.
504 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 102 f.
505 GG 6 (1990), 207 (Stand/Klasse, W. conZe).
506 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 197.
507 sPatZeneGGer, Franz Rehrl, 66.
508 schindler, Lehrbuch II, 351 f
7.6 STÄNDE JENSEITS DER BERUFE 485
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580