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die folglich geschichtet sein müssten.509 Dass es unter den Menschen eine natür-
liche Über- und Unterordnung gebe, stand auch für Karl Lugmayer nicht zur
Disposition.510 Bei allen in der Körpermetapher verankerten Bekenntnissen zur
Gleichwertigkeit der Glieder wies er ein mechanisches Gleichheitsverständ-
nis entschieden zurück: „Wir setzen heute unseren staatlichen Aufbau so zu-
sammen, als ob wir nicht rechneten: 1+2+3+4=10, sondern =4. Das heißt: wir
bewerten nicht, wir zählen. Wir überzeugen nicht und lassen uns nicht über-
zeugen, wir stimmen ab.“511 Gleich Spann hielt Lugmayer Gleichheit nur unter
Gleichen für möglich512 – auch wenn er nicht so weit ging zu sagen, Demokratie
wäre wegen der politischen Unmündigkeit der Massen illusorisch.513 Die berufs-
ständische Ordnung verlange geradezu nach Führerpersönlichkeiten.514 Albert
M. Weiss hatte dem Begriff der Summe den der inneren, logischen Einheit ge-
genübergestellt, die er mit der Autorität gleichsetzte.515
Hält man sich die eben referierten Probleme vor Augen, wird verständlich,
was den politischen Entscheidungsträgern im Österreich der dreißiger Jahre
deutlich auszusprechen nicht leicht fiel: Eine Organisationsstruktur ist für
Stände nicht nötig, ja würde dem wesensmäßig hohen Qualitätsanspruch
niemals gerecht. Für Ernst Karl Winter war der ständische Gedanke eine
„Staatsidee“: Schon deshalb lasse er sich nicht durch eine Verfassungsreform
verwirklichen.516 August M. Knoll fand, Stände seien der Gesellschaft „kate-
gorial“, „wesentlich“: Man könne sie gar nicht zerstören.517 Denkt man diesen
Gedanken weiter, muss man ergänzen: Man kann sie auch nicht bilden. In
diesem Sinne erklärte Bundeskanzler Dollfuß schon bei der Proklamation der
berufsständischen Verfassung: „Die Berufsstände dürfen aber nicht eine ein-
fache Rechtsnorm werden, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen sollen, sie müssen
organisch und lebendig sein.“518 Kurt Schuschnigg hatte zur Berufsstände-
thematik keine enge Beziehung, ja man darf zweifeln, ob ein Weiterbauen am
Ständestaat überhaupt seine Absicht war. Eine „reale Ständeordnung“ lehnte
er ab, weil er glaubte, wenn eine solche nötig sei, wäre sie wirkungslos.519
509 messner, Ordnung, 15.
510 K. luGmayer, Grundrisse, 172.
511 Zit. nach tarmann, Die Personalität, 53.
512 K. luGmayer, Leos Lösung, 51.
513 sPann, Der wahre Staat, 113.
514 CS 1. 7. 1934 (K. luGmayer).
515 A. M. weiss, Wesen, 18 f.
516 heinZ, E. K. Winter, 50.
517 Knoll, Der soziale Katholizismus, 10.
518 dollfuss an österreich, 236.
519 orGler, Ständestaat, 192; PytliK, Berufsständische Ordnung, 49; reichhold, Geschichte,
529; streitenberGer, Leitbild, 192; wohnout, Verfassungstheorie, 319; wohnout, Verfas-
sungstheorie, 76. 7. DIE BERUFSSTÄNDISCHE
ORDNUNG486
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580