Seite - 491 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 491 -
Text der Seite - 491 -
lichen Recht abgeleitete Totalitätsanspruch sei auf den „engsten Bereich des
Staatlichen“ beschränkt; an der „natürlichen Rechtssphäre des Einzelnen,
der Familie, der Bekenntnisse“ lägen seine Grenzen.38 Das LThK/I definierte
den Staat als „der Sozialordnung [...] wesensnotwendig“, allerdings nicht
„naturgemäß“.39 Josef Dobretsberger forderte den Schutz der gesellschaft-
lichen, kulturellen und wirtschaftlichen Organisationen vor seinem Totali-
tätsanspruch.40
Die Stände waren nach diesem Konzept intermediäre Kräfte, Vermittler,
die einen Beitrag zur Ergänzung des Staates durch die Gesellschaft leiste-
ten41, sich aber nicht in einen Gegensatz zum Staat begeben dürften42; Jo-
hannes Messner sprach von „Gliedgemeinschaften“, die „zwischen dem Ein-
zelnen und der Gesamtgesellschaft“ stehen.43 Vom Staat hatte der Soziologe
– trotz der hohen Wertschätzung des einzelnen Menschen – die erhabene
Vorstellung der „im irdischen Bereich vollkommene(n) Gesellschaft“.44 An-
ders als für Spann war er nach seinem Verständnis aber „nicht selbst Stand,
sondern [...] die Lebensgemeinschaft aller Stände“.45
Nach Hans Karl Zeßner-Spitzenberg fasse der Staat eine „bunte Fülle im
Dienst des höheren Ganzen“ zusammen, nicht mechanisch-additiv, „sondern
in tätiger Verknüpfung und Wertung“.46 Guido Zernatto und Leopold Teu-
felsbauer sprachen von kleinen, mit eigenen Wirkungskreisen ausgestatte-
ten Körpern, die den Staat als über ihnen stehende Instanz bräuchten; der
Einzelne fühle sich mit dieser durch die kleineren Gemeinschaften, durch
die wirtschaftlichen Interessen und durch die kulturelle Sendung organisch
verbunden.47
Aus dem Wesen des Staates ergaben sich seine Aufgaben. Franz Martin
Schindler sah diese in der „Herbeiführung der Bedingungen irdischer Wohl-
fahrt“; es ging ihm freilich auch um das ewige Heil jedes einzelnen Men-
38 Krasser, Ständestaat, 8.
39 LThK/I 9 (1937), 692–696 (G. Gundlach).
40 SZ 16. 12. 1934 (J. dobretsberGer).
41 ammerer, Die Stände; GG 6 (1990), 247 (Stand/Klasse, R. walther); Kondylis, Konservati-
vismus, 165; moth, Neu-Österreich, 97; PelinKa, Stand, 18; streitenberGer, Leitbild, 154.
42 Bundesminister Friedrich Stockinger behauptete, Staat und Berufsstände seien ein und
dasselbe – zum Entsetzen von Bundespräsident Miklas, der die Trennung wünschte; lanG,
Bundespräsident Miklas, 171.
43 messner, Ordnung, 7 und 18; vgl. hierzu auch GG 4 (1978), 602–606 (Organ, E.-W. böcKen-
förde).
44 messner, Ordnung, 61.
45 messner, Ordnung, 68.
46 CS 18. 3. 1934 (H. K. Zeßner-sPitZenberG).
47 Zernatto, Die Wahrheit, 80 und 123; CS 17. 6. 1934 (L. teufelsbauer).
8. 2 WESEN, AUFGABEN UND GRENZEN DES STAATES, VERHÄLTNIS ZU DEN STÄNDEN 491
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580