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schen.48 Johannes Messner nannte die Wiederherstellung der durch Vermas-
sung und Atomisierung zerstörten Ordnung zwischen Einzelmensch und
Gesellschaft „gemäß den gesellschaftlichen und kulturellen Umständen“.49
Ein von allen Theoretikern betonter Schlüsselbegriff war der des Gemein-
wohls50 – das nicht, wie bei Rousseau, mit dem Gemeinwillen gleichgesetzt
wurde.51 Obwohl es dem Einzelwohl übergeordnet sei, dürfe daraus kein Vor-
rang des Staates vor dem Menschen abgeleitet werden; „Individualismus“
und „Staatstotalität“ seien gleichermaßen abzulehnen.52 Diese Auffassung
erläuterte später Josef Pieper: Totalitarismus sei Ausdruck des Glaubens,
das Gemeinwohl erschöpfend definieren zu können.53 Richard Schmitz griff
das Thema in Zusammenhang mit der Wahrung der Freiheit des Individu-
ums auf54, dessen „Naturrechte“, so Ulrich Ilg, in jedem Fall Vorrang hät-
ten.55 Franz Rehrl unterschied das Gemeinwohl vom größtmöglichen Glück
aller.56 Für Karl Lugmayer bedeutete es ein möglichst reibungsloses Inei-
nanderarbeiten der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen; er forderte den
Schutz der gliedhaft strukturierten Gesellschaft, der sicherstellen müsse,
dass sich kein Glied gegen das Wohl der übrigen bewege.57 Mit Richard Meis-
ter teilte er den Wunsch nach einem Staat, der Gesinnungsgemeinschaften
fördere.58
Auch solle, so Lugmayer, der Staat Garant der Gerechtigkeit zu sein: Er
übe diese je nach Situation als ausgleichende oder als zuteilende Gerech-
tigkeit (Kap. 5.4).59 Konstantin von Hohenlohe gab als Geltungsbereich der
Letzteren60 die Rechte und Pflichten des Staates gegenüber den Bürgern an;
die Rechte und Pflichten der einzelnen Bürger gegen den Staat unterlägen
hingegen der iustitia legalis (gesetzmäßige Gerechtigkeit), die der einzelnen
48 schindler, Lehrbuch III, 787 f.
49 messner, Ordnung, 23; vgl. auch beyer, Ständeideologien, 139; streitenberGer, Leitbild,
164; Otto von Habsburg formulierte dies 1957 so: „Das Wesen des Staats – also der Staats-
inhalt – ist im Naturrecht verankert.“; zit. nach baier/demmerle, Otto von Habsburg, 283.
50 A. rauscher, Personalität, 32.
51 G. KlemPerer, Konzepte, 16–18.
52 messner, Ordnung, 61–63; nahezu identisch die Argumentation bei moth, Neu-Österreich,
51 f.; vgl. GG 4 (1978), 601 (Organ, E.-W. böcKenförde); LThK/I 9 (1937), 745–748 (A.
scharnaGl).
53 PiePer, Über die Gerechtigkeit, 99.
54 R. schmitZ, Das christlichsoziale Programm, 17–19 und 30; R. schmitZ, Der Weg, 25.
55 ilG, Uns alle, 7.
56 CS 4. 2. 1934 (F. rehrl).
57 K. luGmayer, Grundrisse, 81; K. luGmayer, Linzer Programm, 68.
58 K. luGmayer, Philosophie, 112; meister, Das Verhältnis, 47.
59 K. luGmayer, Grundrisse, 109.
60 Zum Zusammenhang mit absoluter und relativer Gleichheit vgl. newman, Zerstörung, 231.
8. STAAT UND
GESELLSCHAFT492
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580