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nungsstaat, sondern müsse auch als Leistungsstaat in Erscheinung treten,
doch nicht weiter als notwendig. Als Beispiel nannte er Subventionen im
Kulturbereich.96 Jenseits des Staates als Träger der Kultur stehe aber die
„Organisation der Menschheit“; der Wert des Staates hänge davon ab, inwie-
weit er die Grundthesen des humanitären Völkerrechts in seine Verfassung
aufnehme.97 Diese Ansicht war die säkulare Variante des Standpunktes von
Rudolf Henz: „Wenn ich einem Gebiet totale Ansprüche zubillige, dann doch
eher der Religion als der Politik.“98
Für Richard Schmitz war der Staat Träger, nicht Quelle der Kultur; er habe
sie in der Weise zu fördern, dass sie ihr Eigenleben entfalten könne.99 Ähnli-
cher Formulierungen bediente sich Walter Adam, der eine „gleichschaltende
Diktatur“ ablehnte.100 Oswald Redlich sprach 1935 über das Verhältnis von
Herrschern zu Wissenschaft und Kunst; er erwartete von ihnen nicht „Exper-
tentum“, sondern „wohlwollendes Interesse und weise Zurückhaltung“.101
Nicht minder laut als im kulturellen Bereich war die Forderung nach
Selbstverwaltung in der Wirtschaft.102 Ludwig Draxler warnte davor, immer
weitere Gebiete des Wirtschaftslebens privatem Einfluss zu entziehen.103
Johann Stigleitner nahm die öffentliche Wirtschaft in ihrer „schweren Ver-
antwortung für die Entwicklung der Privatwirtschaft“ in die Pflicht. Im Inte-
resse der Privatwirtschaft, erklärte er einem breiten Publikum, sei der Staat
verpflichtet, Ausgaben für Rechtspflege, Volksgesundheit und Volksbildung
zu machen.104
Rudolf Henz benannte die Folgen der Missachtung des Subsidiaritäts-
prinzips, nämlich „die bürokratische Hypertrophie unserer Verwaltungen in
Staat, Ländern und Gemeinden“ und überhaupt „die meisten Übel unseres
gesellschaftlichen Lebens“, verantwortet von Personen, die „weniger von der
Natur als von Katheder-Doktrinen“ ausgehen.105 Othmar Spann fürchtete,
der Staat, der nicht alles, was sich delegieren lasse, an die Stände delegiere,
könne sich nicht mehr auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren und
werde diese nur noch mechanisch ausführen.106 Nicht zuletzt erkannte man
96 meister, Das staatsrechtliche Problem, 31–35.
97 meister, Einige Probleme, 22.
98 henZ, Fügung, 357.
99 R. schmitZ, Das christlichsoziale Programm, 53.
100 CS 23. 12. 1934 (W. adam).
101 santifaller, Oswald Redlich, 130.
102 CS 4. 11. 1934 (O. ender).
103 draxler, Aufgaben, 1 f.; vgl. P. berGer, Im Schatten, 440.
104 stiGleitner, Finanzwissenschaft, 3 f.
105 henZ, Fügung, 363 f.
106 rassem, Othmar Spann, 98; H. walter, Ständewesen, 34.
8.3 DAS SUBSIDIARITÄTSPRINZIP 497
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580