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Seite stellte.117 Auch Hans Karl Zeßner-Spitzenberg sah den Länderfödera-
lismus „mit dem Sozialföderalismus der ständischen Gesellschaftsordnung
auf einer geistigen Linie“.118 Für ihn bedeutete Föderalismus die Pflege und
Wahrung der Eigenart der einzelnen Länder119, aber auch die Achtung vor
dem Recht der „speziellen Lebenskreise, der kleineren Verbände, die den Ge-
sellschaftsorganismus [...] aufbauen“.120 Er meinte: Gemeinde, Berufsstand,
Familie, kulturelle Gemeinschaft.121 Eduard Ludwig wurde dieser Gedanke
in der Krise von 1938 bewusst; den „Anschluss“ kommentierte er so: „Der
staatsabsolutistische, kollektivistische, cäsaristische Gedanke hat in Öster-
reich eine Schlacht gegen Universalismus, ständische Demokratie und Föde-
rativgedanken geschlagen.“122
Ludwig Adamovich erläuterte den Nexus 1936 in einem im Rahmen der
Österreichischen Akademie gehaltenen Vortrag zum Thema Die österrei-
chische Staatsidee, Länderföderalismus und Ständeföderalismus.123 Anton
Klotz sprach ein philosophisch begründetes politisches Ordnungskonzept
an, einen ständischen „Urgedanken“, wie es im Spann-Kreis hieß:124 Födera-
list zu sein bedeute „den richtigen Instinkt für harmonischen Aufbau der
Einheit aus der Vielfalt hegen“.125 Eleganter die Formulierung, die Richard
Nikolaus Coudenhove-Kalergi fand: „Die politische Forderung der Brüder-
lichkeit ist der Föderalismus, der natürliche und organische Aufbau des
Staates aus seinen Individuen. Das föderalistische System entspricht der
natürlichen Weltordnung. Es fordert einen hierarchischen Aufbau der Welt
von unten nach oben.“126
Sehr praxisnah brachte Ulrich Ilg den Sachverhalt auf den Punkt: „Nicht
der Bund hat gnadenhalber den Ländern gewisse Agenden zugeteilt, son-
dern die Länder haben durch ihre Vertreter sich geeinigt, gewisse Agenden
zur einheitlichen Betreuung dem Bunde zu überlassen.“127 Ludwig Hül-
gerths Diktion lässt biblische Anklänge erkennen: „Gemeinde und Land
muss dem Staate geben, was des Staates ist. Es darf aber auch der Staat
117 MSchKP 1, 581–589 (W. taucher).
118 CS 5. 1. 1936 (H. K. Zeßner-sPitZenberG).
119 K. P. Zeßner-sPitZenberG, Hans Karl, 58.
120 CS 5. 1, 1936 (H. K. Zeßner-sPitZenberG).
121 CS 18. 3. 1934 (H. K. Zeßner-sPitZenberG); vgl. auch simonett, Die berufsständische Ord-
nung, 108 f.
122 ludwiG, Österreichs Sendung, 214.
123 h. schuschniGG, Die Österreichischen Akademien, 242.
124 Pichler, Othmar Spann, 40; dassel, Gegen Parteienstaat, 31.
125 KlotZ, Was wird, 48; vgl. LK, 170 f. (H. S. strelow).
126 coudenhove-KalerGi, Totaler Mensch, 127 f.
127 ilG, Uns alle, 54; vgl. auch Kessler, Ulrich Ilg, 74.
8.4 FÖDERALISMUS VERSUS ZENTRALISMUS 499
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580