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kung, sondern eine Schwächung des Staates bedeutet hätte.140 Friedrich
Funder141, Leopold Figl142 und Georg Moth143 lehnten den Zentralismus eben-
falls aus historischen Gründen ab.
In weit zurückliegenden Epochen fanden auch Franz Kolb und Oswald
Redlich Vorbilder, die sie als Argumente gegen „Absolutismus“ und „Zent-
ralismus“ geltend machten. Ersterer ortete in der Geschichte Tirols zumal
unter Maximilian I. „eine gewisse patriarchalische Treue des einfachen, na-
turhaften Bauernvolkes gegenüber seinem Fürsten“144, Letzterer widmete
bei der Darstellung der Geschichte Österreichs im 17. und 18. Jahrhundert
dem Verhältnis zwischen der Monarchia Austriaca und den Ländern breiten
Raum.145 Sein Interesse an der Epoche des Absolutismus, als deren Signatur
er den Zentralismus hervorhob146, begründete er 1920 mit dem für ihn trau-
matischen „Zerfall“ der Monarchie.147 Das „im kleinen Deutschösterreich“
wahrgenommene „Wegstreben von dem bisherigen Mittelpunkte“ war für
ihn eine Reaktion gegen den Zentralismus.148
Einen anderen Akzent musste er daher bei der Beurteilung der Pragmati-
schen Sanktion setzen, die sehr positiv ausfiel: Er deutete diese als freiwilli-
gen Verzicht, auf Seiten der Länder auf die Trennung vom Gesamtstaat, auf
Seiten des Herrschers auf die Teilung von Ländern oder Ländergruppen; so
habe der Fürst einem unteilbaren Ganzen gegenüberstehen können. Am „äl-
teren Absolutismus“ stellte er etwas „Familienhafte(s)“ fest, das erst durch
die „Staatsomnipotenz“ des aufgeklärten Absolutismus abgestreift worden
sei.149 Sein Bild des Monarchen war das des Hauptes, das allmählich von
den Gliedern gelöst worden sei; der Untertan habe hierbei im Laufe der Zeit
eine Metamorphose vom „Glied eines Staatsorganismus“ zum „Rädchen ei-
ner Staatsmaschine“ durchgemacht.150
Hans Karl Zeßner-Spitzenberg nannte die Pragmatische Sanktion ein fes-
tes Band „der von Haupt und Gliedern gewollten Ländergemeinschaft“; 1804
140 PMR 8/5, Prot. 919/3 (1. 2. 1934), 510 f.; es sei aber auch die Möglichkeit der Durchsetzung
eines einheitlichen Staatswillens wichtig; CS 4. 11. 1934 (O. ender).
141 reiss, Dr. Friedrich Funder, 157.
142 fiGl, Ansichten, 26 f.
143 moth, Neu-Österreich, 97.
144 Kolb, Die geistigen Grundlagen, 15 und 25.
145 Vgl. hanisch, Demokratieverständnis, 75.
146 santifaller, Oswald Redlich, 159.
147 redlich, Ausgewählte Schriften, 65 f. und 73.
148 redlich, Ausgewählte Schriften, 39; vgl. H. dachs, Österreichische Geschichtswissen-
schaft, 101.
149 redlich, Ausgewählte Schriften, 45 f.
150 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 209; stollberG-rilinGer, Der Staat, 21.
8.4 FÖDERALISMUS VERSUS ZENTRALISMUS 501
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580