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Karl M. Stepan erkannte ebenfalls im autoritären Ständestaat das natür-
liche Gegengewicht zum totalitären Faschismus nationalsozialistischer Prä-
gung233, desgleichen Rudolf Henz, der für Österreich das Wort „autoritär“
von „totalitär“ und „diktatorisch“ abgrenzte.234
Walter Adam, der offizielle Redakteur des neuen Staatsprogramms235,
unterschied Autorität von Willkürherrschaft und Diktatur.236 Im autoritä-
ren Staat sah er den Garanten gegen den Totalitarismus, den er in Gestalt
der bolschewistischen Ideenwelt vor Augen hatte. In Österreich glaubte er
Elemente kommunistischer „Taktik“ zu orten.237 Angesichts der politischen
Bedrohung von außen, aus einer „Welt schwer gerüsteter, teilweise diktato-
risch regierter Staaten“, appellierte er an die innere Einheit der Republik,
die ihre Kräfte nicht durch „Partei- und Wahlkämpfe“ verschleißen dürfe.238
Der Unterschied zwischen autoritärem und totalitärem Staat war auch
im Umfeld Dietrich von Hildebrands ein vorrangiges Thema.239 Dasselbe gilt
für den Spann-Kreis, in dem der autoritäre Staat als eigenverantwortlicher
„Herrschaftsstaat“ galt; demgegenüber setzten totalitäre Systeme Staat und
Gesellschaft gleich, nähmen dem Einzelnen alle Rechte und degradierten die
Regierung zu bloßer Verwaltung.240
Anregend sind die diesbezüglichen Überlegungen Richard Löwenthals,
der Mussolinis totalen Staat als ein in der Geschichte völlig neues, revolu-
tionäres System bezeichnete. Das eigentliche Merkmal sei nicht Mangel an
Demokratie, sondern Mangel an Pluralismus. Nichtdemokratische Ordnun-
gen müssten nicht notwendig totalitär sein. So habe sich beispielsweise der
klassische absolute Staat nicht als grundsätzlich über der Rechtsordnung
stehend empfunden; selbst der asiatische Despotismus habe Traditionen und
religiöse Legitimationen gekannt: Nur der moderne Totalitarismus setze
sich über rechtliche Beschränkungen der Staatsgewalt hinweg.241
Der deutsch-spanische Politologe Juan Linz sprach im Fall autoritärer Re-
gimes von eingeschränktem Pluralismus: In ihnen werde die Macht von be-
stimmten sozialen Kräften kontrolliert und durch organisatorische Strukturen
kanalisiert. Dies sei häufig der Fall bei Regimes, die, wie der österreichische
233 binder 1982, Karl Maria Stepan, 179.
234 Glaser, Kulturleistung, 38.
235 Ein Kapitel überschrieb er mit „Autoritäre Führung – Mitarbeit und Mitbestimmung des
Volkes“; adam, Staatsprogramm, 59–66.
236 adam, Staatsprogramm, 59; vgl. auch P. huemer, Entstehung, 583.
237 adam, Die neue Taktik, 3.
238 adam, Die neue Taktik, 28.
239 KuGler, Die frühe Diagnose, 143.
240 StL 1933, 55 f. (F. ottel).
241 löwenthal, Faschismus [1966], 546–548. 8. STAAT UND
GESELLSCHAFT510
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580