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Der Literaturbetrieb wurde kanalisiert und auf einen Kanon ausgerich-
tet.282 Guido Zernatto, Präsident des österreichischen PEN-Clubs und seit
1936 in der VF für die Literatur verantwortlich283, initiierte ein Lesebuch für
die Mittelschulen mit dem Titel Österreich – Volk und Staat, das die zentra-
len Anliegen des Ständestaates präsentierte.284
Rudolf Henz schrieb der Dichtkunst den Auftrag wertbetonter Vermitt-
lung von Bildungsinhalten an die breite Bevölkerung zu.285 Als „Staatsdich-
ter“, der Kultur als Gestaltung und Lenkung des Volks verstand286, und als
„Zeremonienmeister der austrofaschistischen Massenästhetik“287 hat man
ihn tituliert. Er war nicht nur der Verfasser eines Dollfuß-Liedes288, sondern
gestaltete auch pompöse Inszenierungen bei kirchlichen und politischen
Veranstaltungen. In seinen am spätmittelalterlichen Mysterienspiel und am
monumentalen barocken Gesamtkunstwerk orientierten Ständehuldigun-
gen289, die jährlich wiederholt wurden290, ließ er „die Romantik unterstüt-
zend an die Seite treten“, wie es Richard Schmitz ausdrückte, ein Mittel,
das durch seinen erhabenen Zweck geheiligt werde.291 Diese Festkultur ori-
entierte sich an jener der Arbeiterbewegung; manche Beobachter erkennen
darin aber auch Parallelen zu den Praktiken faschistischer Staaten.292 Her-
mann Stipek begründete: „Nicht nur geistig, sondern auch mit dem Gefühl
muss die neue Ordnung erfasst werden.“293
Für den Allgemeinen Deutschen Katholikentag von 1933, dessen Präsident
Clemens Holzmeister war294, 250 Jahre nach dem 1683 errungenen Sieg
über die Osmanen, verfasste Henz das Weihespiel St. Michael, führe uns!,
das im Praterstadion aufgeführt wurde.295 Es sollte den Gesamteindruck ei-
282 JarKa, Zur Literatur- und Theaterpolitik, 500 f.
283 erben, Schule, 124; Krist, Zur literaturpolitischen und literarischen Kontinuität, 14 f.
284 rossbacher, Literatur, 94; tálos, Herrschaftssystem (2013), 435.
285 venus, Rudolf Henz, 10; wöGerer, Innere Emigration, 80.
286 dreidemy, Der Dollfuß-Mythos, 84–87; JanKe, ,,Österreich über alles!“, 340.
287 S. amann, Kulturpolitische Aspekte, XIV und 126; vgl. zum Hintergrund sehr kritisch
tálos, Zum Herrschaftssystem, 158.
288 Zusammen mit Nico Dostal; Kriechbaumer, Erzählungen, 38 und 134.
289 JanKe, ,,Österreich über alles!“, 336 und 340; JarKa, Zur Literatur- und Theaterpolitik, 518;
Pfoser/renner, Ein Toter, 348 f.
290 S. amann, Kulturpolitische Aspekte, 138.
291 R. schmitZ, Die Bedeutung, 15.
292 S. amann, Kulturpolitische Aspekte, XIV und 136; Gober, Schule, 198–207; tálos, Herr-
schaftssystem (2013), 401 und 573.
293 stiPeK, Das Werden, 20.
294 Knofler, Clemens Holzmeister, 3 und 43; Pfoser/renner, Ein Toter, 349; zur Rolle Holz-
meisters als „Hofarchitekt des Regimes“ vgl. dreidemy, Der Dollfuß-Mythos, 128–146.
295 dreidemy, Der Dollfuß-Mythos, 85; JanKe, ,,Österreich über alles!“, 341–343; JarKa, Zur
Literatur- und Theaterpolitik, 518; Kriechbaumer, Erzählungen, 60; tálos, Herrschaftssys-
tem (2013), 436 f.
7.6 SCHUL- UND VOLKSBILDUNG 515
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580