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Leopold Kunschak war zwar dem Ständegedanken gegenüber offen342 und
rechtfertigte das Handeln von Engelbert Dollfuß im März 1933 damit, dass
sich das Parlament „selbst unmöglich gemacht“ habe343, hob aber ausdrück-
lich hervor, die autoritäre Führung werde nur transitorischen Charakter
haben.344 Dass Kunschak kein unkritischer Kollaborateur des Systems war,
zeigt nicht zuletzt seine Kritik an der Auflösung der CSP und ihrem Aufge-
hen in der VF. Nach den Ereignissen vom Februar 1934 war er nahe daran,
alle seine Ämter zurückzulegen.345 Auch das im Herbst 1934 vom Linzer Bi-
schof Johannes M. Gföllner346 abgelegte Bekenntnis zum autoritären Kurs
missfiel ihm.347 Allmählich schlossen sich dieser Haltung weitere Politiker,
schließlich sogar die übrigen österreichischen Bischöfe an.348 Friedrich Fun-
der sah die Widersprüche zwischen dem ständischen Bauplan und der poli-
tischen Praxis.349 Auch von Seiten des Rechnungshofs und der christlichen
Arbeiterbewegung wurden Stimmen gegen das autoritäre Prinzip laut.350
Johann Staud, ebenfalls ein christlicher Gewerkschafter, äußerte sich
zum berufsständischen Aufbau insgesamt positiv.351 Bundeskanzler Dollfuß
sprach er zwar seine Solidarität aus, erklärte aber auch, dass er Maßnah-
men der Regierung, die Arbeitern und Angestellten Nachteile bringen wür-
den, nicht akzeptieren werde.352 Auch den übermächtigen Einfluss der Re-
gierung auf den Gewerkschaftsbund nahm er nicht widerspruchslos hin.353
Die Maiverfassung beurteilte er differenziert, allerdings aus der einseitigen
Perspektive der Arbeiter.354 Seinerseits war er massiver Kritik von Seiten
der Heimwehr ausgesetzt.355
Eduard Ludwigs Äußerungen lassen hohes demokratiepolitisches Be-
wusstsein erkennen. In seinem Kommentar zum Verfassungsübergangsge-
setz, das Otto Ender am 12. Juni 1934 dem Ministerrat vorlegte, beleuchtete
er den Vorrang der Regierung bei der Gesetzgebung kritisch. Sein Fazit fiel
im Vergleich zu dem, was in der Darstellung mitschwang, freilich positiv
342 KunschaK, Österreich, 145 f.; vgl. wohnout, Verfassungstheorie, 506 f.
343 KunschaK, Österreich, 176.
344 KunschaK, Österreich, 183 f.
345 schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 79–81; schmit, „Im Namen“, 155.
346 Zu ihm vgl. auch schmit, Im Namen, 153; wohnout, Bürgerliche Regierungspartei, 189.
347 lacKner, Die Ideologie, 55.
348 JaGschitZ, Ständestaat, 507; Ch. maresch, Die katholische Kirche, 41.
349 reiss, Dr. Friedrich Funder, 121.
350 steiner, Wahre Demokratie?, 47.
351 schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 67.
352 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 33–35.
353 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 46.
354 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 112.
355 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 104. 8. STAAT UND
GESELLSCHAFT520
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580