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erwiesen sich „Verhaltensstandards und moralische Einstellungen“, also je-
nes, das für eine Gliederung nach Ständen besonders geeignet ist15, als das
in höchstem Maß gültige. Die zentralen Themen des Personalismus – Indivi-
dualität, Freiheit/Ordnung, Leben/Geist, Persönlichkeit/Gemeinschaft und
eine Reihe weiterer hohen Idealen verpflichteter „Werte“ – machten es mög-
lich, die Vielzahl an zunächst heterogen wirkenden Äußerungen in ein Sys-
tem zu bringen (Kap. 5). Da der Personalismus auch dem Gefühl Erkennt-
niswert bescheinigte, fand bei deren ausführlicher Analyse manches Platz,
was ausgespart geblieben wäre, wenn der kategorische Imperativ den allei-
nigen Maßstab dargestellt hätte. Dies bedeutet freilich weder Willkür noch
Beliebigkeit, sondern ist Ausdruck der Suche nach einem wissenschaftlichen
Zugriff, der jene im Denken und Fühlen der behandelten Personen tief ver-
ankerte (auch christliche) Demut nachempfindet, die sich nicht anmaßt, für
alles und jedes ein „Kriterium“ bilden zu können und es auf diese Weise in
eine Schablone pressen zu dürfen. Der Respekt vor der Person, so jene Phi-
losophen, zu denen auch der im BKR vertretene Karl Lugmayer gehörte, ge-
biete ein Höchstmaß an Verantwortung jenseits der Normen und behutsame
Vorgehensweisen in allen Lebenssituationen, viel Augenmaß und einen Sinn
für Lösungen mittlerer Reichweite. Die Palette der hieraus sich ergebenden
Themen entspringt jenem keineswegs nur von konservativer Seite eingefor-
derten kritischen Denken, das „Parteinahme für die Residuen von Freiheit,
für Tendenzen zur realen Humanität“ verlangt.16
Dieses Denken implizierte freilich das Bewusstsein, dass die Gebunden-
heit an derlei Prinzipien nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt sei – so
wie das Verhältnis zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen in jedem
Menschen anders gelagert sei. Dietrich von Hildebrand, ein Emigrant aus
Deutschland, der in Österreich zu einem der christlich-konservativen Vor-
denker wurde, bezog auch jene in sein Denken ein, die sich zu den Idealen
des Personalismus nicht bekannten: Bei Menschen, die dem Totalitarismus
anhingen, glaubte er, könne man durch Fairness nichts mehr ausrichten.17
Mit diesem Gedanken verwandt ist ein Problem, das die Zeit des Übergangs
von der Honoratiorenherrschaft zur Massenwählerschaft kennzeichnet, der
Gegensatz nämlich zwischen einem durch Herkunft und Bildung legitimier-
ten Überlegenheitsanspruch einerseits und dem Prinzip allgemeiner Gleich-
heit andererseits.18 Hier liegt der tiefste Grund für die Rechtfertigung des
Autoritären: Dieser nach wie vor viel geschmähte Begriff wurde in engem
15 reitmayer, Politisch-soziale Ordnungsentwürfe, 39–41.
16 horKheimer/adorno, Dialektik, IX.
17 v. hildebrand, Memoiren, 149.
18 Paxton, Anatomie, 117 f. und 178. 9. RESÜMEE: STATUS IST
ORDO532
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580