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für praktische Gründe geltend, die vielen Zeitgenossen, auch solchen, die
nicht seine erklärten Anhänger waren, plausibel erschienen. Zum Wesen
des Berufsstands gehörten ein hohes Maß an Eigenverantwortung und eine
weit reichende Autonomie. Ein Eingreifen des Staates aufgrund des Subsi-
diaritätsprinzips war erst vorgesehen, sobald die Möglichkeiten des Stands
erschöpft waren. Auf der räumlichen Ebene fand das Subsidiaritätsprinzip
im Bekenntnis zum Länderföderalismus ein (freilich nur theoretisches) Pen-
dant.
Hatte es sich beim ordo um eine metaphysisch verankerte, norma-
tiv-ethisch zu begreifende Ordnung gehandelt, besaß man im Berufsstand
eine empirisch-sozial zu beschreibende, die – im Sinn von status – das Leis-
tungsprinzip aufwertete. In Wirklichkeit verband diese Begriffe jedoch
mehr, als sie trennte: Für beide galt, dass sie durch ihre Position im Gan-
zen definiert waren, und beiden haftete die Eigenschaft des Beharrenden
an – auch wenn im Berufsstand mehr Dynamik gegeben war als im alten
Geburts- oder Herrschaftsstand. Und, nicht zuletzt, gehörte auch zu die-
ser Ordnung die Vorstellung, die Gesellschaft funktioniere wie ein Körper,
dessen Glieder aufgrund ihrer spezifischen Fähigkeiten weitgehend vorbe-
stimmte Aufgaben hätten. Manches an ihr, etwa die Hoffnung, Interessen-
vertretung ließe sich dem Gemeinwohl unterordnen, war allerdings schlicht-
weg romantisch – und entsprechend weit entfernt von der Umsetzbarkeit.
Dasselbe gilt für den Gedanken, eine rein vertikale Gliederung der Gesell-
schaft könne die horizontale Schichtung der „Klasse“ entbehrlich machen
und Entscheidungsbefugnisse ließen sich von der Sachverständigkeit abhän-
gig machen.
Obwohl eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Terminus „Aus-
trofaschismus“ nicht zu den eigentlichen Intentionen der Studie gehörte,
ist dennoch zu konstatieren, dass die Analyse des Diskurses zum „Stand“
gute Argumente liefert, die gegen die Berechtigung dieser Bezeichnung
sprechen.20 Nicht nur die tiefe Verankerung der staatstragenden Elite im
Katholizismus bedingte gleichsam per se die Unvereinbarkeit mit dem tota-
litären System, auch die einen noch weiteren Rahmen absteckende Philoso-
phie des Personalismus hätte hierfür keinen Raum gelassen. Als Kronzeuge
sei nicht zuletzt Richard Meister angeführt, dessen Bildungsbegriff einem
„idealistisch“ sich verstehenden Liberalismus21 entsprach, weil er ja nichts
anderes wünschte als einen Unterricht, der die dazu Fähigen zu geistiger
Freiheit führen sollte. Dass der österreichische Ständestaat gerade diesem
20 Vgl. auch die konzise Zusammenfassung bei seefried, Reich, 43 f.
21 Der Bildungsgedanke spielt in der Liberalismusdebatte eine zentrale Rolle; JaniK, Libera-
lismus, 69. 9. RESÜMEE: STATUS IST
ORDO534
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580