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Ordnung“ (K. Mannheim) 57 zu zeichnen. Den Blick auf das äußere Erschei-
nungsbild der österreichischen Politik 1933–1938 zu verengen, wie es die
geltende Meistererzählung vielfach tut, nur weil dieses präzise beschreib-
bar erscheint, greift zu kurz, umso mehr, wenn direkte oder unterschwellige,
dem Wertbewusstsein einer späteren Zeit geschuldete Pauschalverurteilun-
gen damit einhergehen. Wissenschaftlichkeit erlaubt – in den Geisteswis-
senschaften wird man geradezu sagen müssen: gebietet – die Frage nach
tiefer liegenden Handlungsmaximen der Akteure: Diese lassen sich aber nur
durch Offenheit auch für all das erkennen, was über das Handeln im engen
Sinn hinausgeht. Einen Menschen, eben auch einen politischen Akteur, um-
fassend zu Wort kommen zu lassen – und ihn beim Wort zu nehmen – wider-
spricht kritischem Geist nicht, besonders dann nicht, wenn durch einen so
intensiven und reichen, gemäß der Forderung Johann Kleinhappls der „We-
sensart“ des Menschen nachspürenden Diskurs, wie es der in dieser Studie
analysierte ist, ein hoher Grad an Kohärenz des Denkens gegeben ist – was,
bezogen auf Einzelaspekte, auch wechselseitige Plausibilitätskontrolle be-
deutet.58
Versucht man aus dieser Haltung heraus alle untersuchten Äußerungen
auf einen Nenner zu bringen, so zeigt sich: Sein status allein, der Beruf, den
ein Mensch ausübt, also das weitgehend Mess- und Beschreibbare, kann ihn
nicht ausmachen, solange er sich nicht dem ordo unterworfen fühlt. Dieser
aber gehört zu einem auch die Transzendenz einschließenden Weltbild. Aus
einem solchen wiederum resultiert ein Verständnis von Politik, das über das
Tages-, wenn nicht sogar das Zeitgeschehen hinausgehende Weltsichten und
Werthaltungen beinhaltet, ja überhaupt menschliche Grundbefindlichkeiten
stärker in den Blick nimmt – und anerkennt, dass das, was Dieter A. Bin-
der für Bundeskanzler Dollfuß feststellte, in der Politik generell sehr häufig
gilt, nämlich dass meist ebensoviel für eine Sache spricht wie gegen diese59,
dass es einen „Masterplan“ (H. Wohnout)60 tatsächlich in vielen Fällen nicht
geben kann. Obwohl die Zahl derer, die diesen Gedanken nachvollziehen
können, schon in der Zwischenkriegszeit nicht groß gewesen sein dürfte,
der Diskurs über das Ständische also nicht die politische Realität abbildete,
spricht vieles dafür, den österreichischen Ständestaat künftig nicht auf seine
autoritären Züge zu reduzieren, sondern sich auch seines Selbstverständnis-
ses als konservativer, im echten Sinn „christlicher“ Staat zu entsinnen – jen-
seits jeglicher Spielart des politischen Katholizismus.
57 mannheim, Konservatismus, 167 f.
58 sKinner, Bedeutung, 92.
59 GoldinGer/binder, Geschichte 202.
60 wohnout, Schritte, 51. 9. RESÜMEE: STATUS IST
ORDO540
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580