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Gerade die Technisierung und Maschinisierung in der Landwirtschaft leistete
gleichzeitig auch der Ausbreitung des Nebenerwerbs und in der Folge häufig der
Auflassung des landwirtschaftlichen Betriebs Vorschub. Der zuvor schleichende
Wandel wurde beschleunigt und die Sinnhaftigkeit der landwirtschaftlichen
Arbeiten – besonders von den jüngeren Generationen – zunehmend in Frage
gestellt.106 Insbesondere die Nachkriegsjahrzehnte brachten massive Brüche in der
alpinen Agrarwirtschaft: Es kam zu einer Fokussierung auf Milchwirtschaft bei
zeitgleicher Aufgabe der bislang vielfältigen Produktionsbereiche, Getreidebau,
Kleinvieh und Nebenproduktionen verloren schlagartig an Bedeutung.107 Der Weg
in die Moderne war für viele Bauernfamilien nicht leicht, da er teils mit Kämpfen
zwischen den Generationen am Hof begleitet und häufig auch mit großem finan-
ziellen Risiko für die Familien verbunden war. Der 1942 geborene QR beschreibt
nachfolgend die harte Arbeit von Kindheit an, die durch eine Mähmaschine sehr
erleichtert wurde – aber auch die hohen Kosten, die man für diese Erleichterung
in Kauf nehmen musste:
I: Sonst in der Landwirtschaft, habt ihr da früher irgendwelche Maschinen
gehabt? Mähmaschinen oder …?
QR: Früher gar nichts. Alles von Hand.
I: Und dann, wann hat man dann da einmal etwas angeschafft oder so?
QR: Ja, ich bin dann eben größer geworden. Sobald ich „a Seisa“108 halten
konnte, musste ich mit, um zu mähen. Und dann ist man halt am Morgen,
sobald man’s gesehen hat, musste man auf, und mähen. Und dann hat man
gemäht, bis man es am Vormittag wegen der Hitze „nüma erlitta hot“109, oder
halt „nüma ghaua hot“110. Und dann „ga zetta“111, und auf dem Buckel ein-
tragen, wenn es dürr gewesen ist. Und ich weiß jetzt nicht mehr, wann wir
die Mähmaschine … Der Nachbar hat denke ich drei, vier Jahre vorher eine
gehabt. Und ich habe mich als junger Kerle ja elend … habe ich mich dann
geärgert. Der ist am Morgen um halb acht, acht gekommen, hat eine halbe
Stunde gemäht, hat drei Mal soviel [unverständlich] gehabt wie wir. Und gut
gewesen. Und dann haben wir eine gebrauchte Maschine gekauft. Und das ist
damals eine Reform gewesen. Und die hat damals neu 12.000 oder 14.000, ich
meine 12.000, aber es können auch 14.000 gewesen sein, hat die neu gekostet.
Und das hat man für eine gute Kuh … hat man auch soviel bekommen. Heute
kostet so eine Mähmaschine, halbwegs eine, 200.000 in Schilling. Jetzt kann
man sich ausrechnen, wieviel Kühe man da braucht.
106 Böhler: Das Verschwinden der Bauern. S. 102f.
107 Neumayr, Ursula und Peter Rathgeb: Land:Leben. Geschichte und Geschichten österreichischer
Berggebiete. (= Grüne Reihe des Lebensministeriums 19) Wien 2007. S. 62.
108 eine Sense.
109 nicht mehr ausgehalten hat.
110 (die Sense) nicht mehr geschnitten hat; nicht mehr scharf war.
111 das Heu zum Trocknen wenden.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439