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Geographie, Land und Leute
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
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Page - 109 - in Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg

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109 ren gleich bewirtschaftet als wie tausend Jahre vorher. [unverständlich] hast du dazu gehabt, man hat geheut, man hat „Büntel“113 eingetragen, man hat es von Hand gemäht, man hat von Hand „gwällnat“114, man hat von Hand „kehrt“115. Und die Ställe haben ungefähr gleich ausgeschaut. Und da ist jetzt in der kurzen Zeit von 30 bis 60 ist das eine brutale Veränderung, hat da stattgefunden. Da hat es auf einmal hat es Traktoren gegeben. Auf einmal hat es Mähmaschinen gegeben. Und für den Wald Motorsägen. Also alles total … also, das kann man sich gar nicht vorstellen. Wenn ich noch denke, damals wo wir in die Schule gegangen sind, wie es im Winter da zugegangen ist. Da haben sie das ganze Holz aus dem Silbertal nur auf Schlitten heraus geführt. Da sind auch meine Onkel, die sind auch jeweils, die haben auch immer vier Pferde gehabt. Mit je zwei Pferden im Winter hat das immer „gschällnat“116, sind sie da aus dem Silbertal heraus gekommen. Zum Teil hat man Holz geflözt. Mit der Aussage „Von 1930 bis 1960 hat sich im Montafon mehr verändert als vor- her in tausend Jahren“ überspitzt, aber verdeutlicht der Erzähler, was viele andere ZeitzeugInnen in langen, ausführlichen Beschreibungen darzustellen versuchen: den immensen technischen und wirtschaftlichen, aber auch sozialen Wandel in ländlichen Regionen binnen weniger Jahrzehnte. JJ bemüht sich, seine eigene Lebensgeschichte aus einer gewissen Distanz zu betrachten und das Phänomen des landwirtschaftlichen Wandels zu fassen. Viele andere ErzählerInnen wenden eine andere Strategie der Vermittlung an: Sie stei- gen tief in die Details ein, um quasi rechnerisch die unfassbaren Veränderungen begreifbar und messbar zu machen. Wie schon QR in einem Beispiel weiter oben den Preis einer Mähmaschine in Kühen angab, stellt nachfolgend der 1919 gebo- rene RR beispielsweise den Tageslohn eines Arbeiters dem Butterpreis gegenüber – und liefert ein vorbildliches Beispiel für eine Lohn-Preis-Geschichte: RR: Ja, ja, Ende so um 30, 28, 29, 30 sind halt so die Taglöhne sieben und acht Schillinge gewesen. Und die Butter, am meisten ist sie halt sieben Schillinge gewesen. Und ist immer, kann man sagen so ein Taglohn gewesen, die Butter. Immer so nahe um einen Taglohn herum. Heute ist sie noch ein halber Stun- denlohn, mit 80 Schillingen. Weißt du, das passt nicht mehr. „I tua niamad nüt vergunna“117, aber dass die Bauern verrecken, und dass es die Jungen nicht mehr machen, muss man sich nicht wundern. Weißt du. Eben, das ist nur ein Beispiel. Dann anno 34 hat man schon nur mehr vier Schillinge Taglohn bezahlt. Und um vier Schillinge hätten sie dir die Türe „ihgsprunga“118, wenn du es zahlen hättest können. Das weiß ich gut. Und die Butter ist aber da 113 Heubündel, kleine Einheit für Heu. 114 frisch gemähtes Gras zu Heuwällen gerichtet. 115 das Heu gewendet. 116 geklingelt; geläutet. 117 sinngemäß: „Es ist nicht so, dass ich jemandem etwas nicht gönnen würde.“ 118 eingerannt.
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Subtitle
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Publisher
StudienVerlag
Location
Innsbruck
Date
2013
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
15.8 x 23.4 cm
Pages
464
Keywords
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Category
Geographie, Land und Leute

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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