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Erdäpfel gegraben auch. Die Tante ist neben mir gewesen mit der Haue und
die hat gesehen, dass der Stier übers Feld herunter kommt, mit dem Schwanz
in der Luft. Und die hat geschrien: „Der Stier, der Stier kommt!“ Und wir
sind gelaufen, hinter dem Stall haben wir uns versteckt. Da haben wir laufen
können über das neu Gemähte, sonst haben wir nicht gut gehen können. Und
die Ahna hat uns gelehrt mit den Kräutern umgehen, was man alles braucht.
Das habe ich alles daheim gelernt. Heute noch habe ich alles Kräuter, alles was
einem gut tut. Da hat es keinen Doktor gegeben, dass man hätte gleich zum
Doktor gehen. Da hat sie uns eine Speckschwarte um den Hals herum getan,
dass man gemeint hat, man hätte einen Pappendeckel um den Hals herum, so
starr ist das gewesen, wenn sie trocken gewesen ist, ist sie auseinander gesplit-
tert, die Schwarte. Und fort ist es gewesen das Halsweh. Ja. Und eine gehörige,
großmächtige Kupferbettflasche, das hat dann einen Knutsch getan, wenn die
aus dem Bett gefallen ist! Und schlafen haben wir dürfen bei der Ahna, wo
wir klein gewesen sind, weil ein großmächtiges altes Montafonerbett hat sie
gehabt. Und dann hat sie gesagt: „Ja, wer zuerst im Bett ist, dem erzähle ich
dann eine Butzgeschichte.“ Und dann haben wir uns schon gefürchtet auf die
Butzgeschichte und gefreut. Und dann hat sie die Butzgeschichte erzählt. Und
Zeug hat sie gewusst, Sprüche und Lieder hat sie gewusst. Alles Mögliche. […]
Aber wir haben auch müssen ins Rorate gehen! Mit gefrorenen Füßen und
Händen sind wir dann heim gekommen. Und alle Tage in die Messe. Wenn
man nicht in die Messen gegangen ist, hat man eine schlechte Religionsnote
bekommen. Religion, Betragen und Fleiß sind die ersten Noten gewesen. Reli-
gion, Betragen und Fleiß! Wir haben noch müssen Grüßen lernen. Wir haben
müssen hinaus gehen aus der Klasse und hereinkommen mit Knicks, haben
wir müssen, Buben und „Maiggi“143, und einander die Hand geben. „Und so
tut man grüßen.“ Das kann man heute auch suchen, ja!
I: Sind dir noch Sprüche in Erinnerung?
WD: Sprüche? Jessas! Eines ist ein ganz ein „hetziges“144, das habe ich nie ver-
gessen. Das geht über das graue „Henili“145, das ist ein so ein Wiederholungs-
spruch. Das hat die können, und ich kann es zum Glück heute auch noch. Ich
habe immer, erst habe ich es meinen Buben erzählt, und dann hab ich es den
Enkelkindern erzählt. Und vor allem, wir sind ja so, ganz gläubig aufgewach-
sen, wirklich. Wir haben immer müssen beten am Tisch und Rosenkranz und
alles haben wir müssen können. Also, das graue Henili, hat sie dann gesagt:
„Grau ischt mi Henili,
Entaquent häßt mi Ent, grau ischt mi Henili,
Entaquent häßt mi Ent, Gigeriga häßt mi Ha, grau ischt mi Henili,
Entaquent häßt mi Ent, Gigeriga häßt mi Ha, Mager-und-Fäßt häßt mi Gäß,
grau ischt mi Henili,
Entaquent häßt mi Ent, Gigeriga häßt mi Ha, Mager-und-Fäßt häßt mi Gäß,
143 Mädchen.
144 lustiges.
145 Hühnchen.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439