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246 CD: Und dann, leider Gottes, ist 1939 der Krieg ausgebrochen. Und das habe
ich also in sehr guter Erinnerung. Und zwar sind zwei sehr gute Bekannte
vom Vater mussten einrücken, zum Militär. Und ich weiß gerade, wir haben
auf der Wiese gearbeitet. Da kommen diese zwei Männer mit einem kleinen
Köfferchen und sind da eben eingerückt zum Militär. Und der Vater hat da
eben noch geredet mit ihnen. Und er sagt: „Viel Glück“, und so und so, „und
kommt wieder gesund heim“. Und diese Männer sind guten Mutes gewesen:
„Ja, ja, in zwei, drei Monaten sind wir daheim. Bis dann ist dieser Krieg fer-
tig:“ Und es ist nicht lange gegangen, ist dann in Tschagguns schon die erste
Kreuzsteckung gewesen. Und das ist eine militärische Kreuzsteckung, da hat
man ein Birkenkreuz in der Kirche gehabt, mit dem Namen vom Soldat. Und
das hat man dann heraus getragen dieses Kreuz, nach der Messe, und hat
es am Heldenfriedhof, oder Heldendenkmal aufgestellt. Und das hat ein Sol-
dat heraus getragen. Und drei, vier Wochen später hat man demjenigen auch
schon wieder das Kreuzchen heraus getragen. Und da habe ich gedacht, das
kann nichts Gutes sein, der Krieg, wenn man da … die sterben ja ein um das
andere Mal. Wie es an der Front zugeht, haben wir als junge Schulbuben nicht
wahrnehmen können. Aber dass sie halt nicht mehr heim kommen, das haben
wir schon aufgenommen. Und so ist halt der Krieg durch gegangen. Man hat
immer wieder von Elend gehört, dass ein Familienvater gefallen ist, oder in
einer Familie mitunter zwei Söhne gefallen sind und so. Und die älteren Leute
haben das alles ein bisschen anders angeschaut wie wir Jungen. Und man hat
dann halt als Bub immer ein bisschen mit gehorcht. Und mein Vater ist ein
Erzgegner gewesen, also vom Hitlerreich. Das ist ein sehr konservativer Mann
gewesen. Er hat halt auch den Ersten Weltkrieg mitgemacht. Dolomitenfront
und in Jugoslawien. Also hat den Krieg von Anfang bis Ende gekannt. Darum
hat er auch das System vom Hitler nicht für gut geheißen.
Wie später noch im Detail aufgezeigt werden wird, bedeutete der Krieg für die
Frauen und Kinder vor allem permanenten Verlust. Die Daheimgebliebenen
waren mit immer neuen Nachrichten von gefallenen Bekannten oder Verwandten
konfrontiert. Besonders für junge Menschen war es schwer zu durchschauen, was
in einem Krieg eigentlich passierte, da die Informationen auch nur sehr spärlich
zu ihnen drangen. Wie CD es formulierte, „haben wir als junge Schulbuben nicht
wahrnehmen können, wie es an der Front zugeht“, bzw. wurden diese Informatio-
nen von ihnen im Rahmen der Propaganda in der Schule auch gezielt ferngehalten
und die Begeisterung für den Krieg geschürt.
Der Zweite Weltkrieg stellt eines jener Ereignisse dar – wenn nicht das historische
Ereignis schlechthin – das die Erfahrungen, die Erinnerungen und in der Folge
auch die lebensgeschichtlichen Erzählungen der ältesten heute noch lebenden
Menschen am meisten prägt. Diese Tatsache bestätigen andere große Forschungs-
projekte zum Thema Biografien im 20. Jahrhundert, unter denen vor allem die
Ergebnisse von Albrecht Lehmanns „Erzählstruktur und Lebenslauf“ und „Gefan-
genschaft und Heimkehr“, Joachim Schröders „Die gestohlenen Jahre“ und Klara
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439