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eine auf dem Klo erschossen. Dann ist eine andere noch gewesen am Kartoffel-
acker, und da hätte man sollen halt auch um fünf weg sein, und da haben sie
einfach hinüber geschossen. Also, ein bisschen wild ist es da zugegangen. Mit
der Zeit sind hauptsächlich die Marokkaner da gewesen, die sind aber auch
geplagt worden von den Franzosen. Die haben es nicht einfach gehabt. Die
haben auch ihre eigenen Sitten gehabt. Zum Beispiel am Schrunser Kirchplatz
haben sie ihre Lehmöfen gemacht, da haben sie ihre Schafe dann drinnen
gebraten. Aber mit den Marokkanern ist man an und für sich gut ausgekom-
men, weil die sind auch unterdrückt worden von den anderen. So ist das ver-
hältnismäßig lang gegangen. Es sind die ganzen Hotels, Taube, Sternen, Adler,
Schäfle, die sind alle besetzt gewesen von den Franzosen, und haben zum Teil
auch furchtbar ausgesehen, hintennach, wo sie gegangen sind.
Das zentrale Thema dieser Erzählungen ist die Hierarchie zwischen den französi-
schen und den marokkanischen Soldaten, die sich offenbar in einer starken Bruch-
linie durch die Besatzungstruppen bemerkbar machte und von der Bevölkerung
neugierig beobachtet wurde. In den drei Erzählungen wird auch die Relevanz die-
ser Brüche innerhalb der französischen Truppen für die MontafonerInnen klar:
Die ZeitzeugInnen hatten den Eindruck, dass sich die „unterdrückten Marokka-
ner“ mit den besiegten ÖsterreicherInnen gegen den gemeinsamen Feind, näm-
lich die französischen Soldaten, solidarisierten. JJ spricht diese Verbundenheit in
seinem Bericht klar an: „Aber mit den Marokkanern ist man an und für sich gut
ausgekommen, weil die sind auch unterdrückt worden von den anderen.“
Andererseits ermöglicht es wiederum die erzählerische Solidarisierung mit
den „Marokkanern“, die sich etwa in Form der Darstellung der ungerechten,
harten Bestrafung eines Eier kaufenden marokkanischen Soldaten manifestiert,
eigene Antipathien gegenüber den französischen Besatzern, dem vormaligen
Kriegsfeind, offen auszusprechen. Am Beispiel konkreter Opfer, eben den marok-
kanischen Soldaten, fällt es leichter, eine unmenschliche, rassistische (HS) und
teils auch brutale Haltung (in JJs Erzählung auch gegenüber den MontafonerIn-
nen) der französischen Besatzer zu thematisieren – ohne dass diese etwa auf die
eigene Kriegsschuld zurückgeführt werden könnte. Auch eine gewisse Schaden-
freude gegenüber den französischen Soldaten, wenn diese ein am Boden zertrete-
nes Schnitzel serviert bekommen, erklärt sich aus dieser Solidarisierung mit den
Marokkanern. Die „unterdrückten Marokkaner“ werden solchermaßen ein erzäh-
lerisches Mittel zum Zweck, Ressentiments gegenüber den „französischen Herren“
klar auszusprechen.
An den französischen Soldaten wird ihre rassistische Haltung gegenüber den
marokkanischen Soldaten kritisiert, HS verweist darauf, dass „damals ziemlich
noch Kolonialzeit“ war, und beschreibt, wie die dunkelhäutigen Soldaten sowohl in
den amerikanischen als auch in den französischen Truppen für die „Drecksarbeit“
vorausgeschickt wurden. Wenngleich der Rassismus der französischen Soldaten
kritisiert wird, so prägt dieser doch auch die Erinnerungserzählungen der Zeit-
zeugInnen selbst über weite Strecken. Denn obschon sich einige Erzähler mit den
Marokkanern solidarisieren, so sind es andererseits doch erneut die marokkani-
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439