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zuletzt das Bild der Einigkeit der Familie, des „an einem Strang Ziehens“ kons-
truiert. Die 1922 geborene KK beschreibt, wie sie als Alleinerzieherin sonntags
ihre Kinder zum „Pommes-frites-Dienst“ heranziehen musste, wenngleich ihre
Schilderungen wenig streng klingen. KK beschreibt im folgenden Ausschnitt auch
eingehend den Wandel vom landwirtschaftlichen zum gastronomischen Betrieb in
der Hand ihrer Familie.
KK: Da ist die Wirtsstube gewesen, und ein Schlafzimmer auch, und das Hin-
terzimmer auch, das ist die Schank gewesen.
I: Sind Sie auf die Idee gekommen?
KK: Nein, ich nicht. Mein Mann. […] Die Landwirtschaft haben wir dann bis
1957 noch gehabt. Anfang 1957 haben wir die Wirtschaft aufgemacht, und
dann haben wir verpachtet. Weil alles wär mir zu viel gewesen, weil ich habe
ja im Haus müssen und in den Stall auch müssen. Weil er ist nicht mehr in
den Stall, wo ich gekommen bin. […] Und das hat er dann gesehen, dass es zu
viel ist, und dann hat er verpachtet. Da war die Wirtschaft schon da und ich
mittendrin. […] Umgebaut hat man nicht viel. Draußen, vom Schlafzimmer
ins Hinterzimmer hat man eine Tür rausgebrochen und das Schlafzimmer ist
dann oben gewesen. Und dann habe ich oft zehn, elf Gäste gehabt. Der Dach-
boden ist noch zum Ausbauen gewesen, dort sind jetzt vier Zimmer oben.
Drei Zimmer. Die habe ich dann vermietet. In den 1960er und 70er Jahren
hast du da gut Platz gehabt. […] Zehn Gäste habe ich oft gehabt, speziell
im Sommer. Das hat man leicht vollgekriegt, immer. Und ich habe müssen
am Herd stehen. Und eine Frau ist dann bedienen gekommen, und von da
droben eine hat mir in der Küche geholfen und dann wieder eine, eine ältere
Frau ist dann auch wieder am Vormittag eine Zeit lang gekommen und hat
mir geholfen. Aber die Wäsche habe ich müssen selber machen. Eine Wasch-
maschine habe ich dann schon gehabt, zuerst noch nicht, aber später dann
schon, aber keinen Trockner, so wie heute. Und lauter Bügelwäsche! […] die
Söhne haben müssen fest helfen, am Sonntag hat einer Pommes-frites-Dienst
gehabt, der hat Pommes frites backen müssen. Die haben helfen müssen, das
ist nicht anders übrig geblieben. Sie haben dann schon wieder dürfen mit den
anderen spielen gehen. Da oben ist so eine große Wiese gewesen, da haben ein
Haufen Buben Ball gespielt. Und wenn ich einen gebraucht habe, bin ich nur
unter die Haustür und habe gepfiffen, dreimal gepfiffen, und dann ist eine
Antwort gekommen. Und bald drauf ist dann einer gekommen, gewöhnlich
mit dem Rad. Dann haben die Gäste oft gesagt: „Wem pfeifen Sie denn?“ – „Ja,
das werdet ihr bald sehen.“ Dann sind sie gekommen. Ich bin streng gewesen
mit ihnen, aber was hätte es anders geholfen? Aber es ist einmal von Nutzen
gewesen, es ist aus allen etwas geworden.
Die anfängliche Doppel- bzw. Dreifachbelastung von Land- und Gastwirtschaft
und Familie wird in vielen Interviews angesprochen. Manchmal entschloss man
sich nach wenigen Jahren, die Landwirtschaft einzustellen und zu verpachten. Der
Großteil der VermieterInnen setzte aber lange Jahre auf Zuerwerb: 1970 vermie-
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439