Seite - 32 - in Gewalt im Computerspiel - Facetten eines Vergnügens
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COMPUTERSPIEL30
Um Missverständnissen vorzubeugen: Von einer mehr oder weniger gezielten
Mobilisierung von Emotionen auszugehen bedeutet nicht, dass es dabei um in-
tentionale Handlungen gehen muss. Auch Zillmann merkt an: „[M]ood-manage-
ment theory does not stipulate that individuals need be cognizant of the reasons
for their choices.“83 Zwar können diese Entscheidungen auch bewusst getroffen
werden, doch:
„Individuals in particular moods may simply ‚feel like doing this or that.‘ They may feel like
watching comedy, listening to music, or going to see a horror movie without knowing why
they do so. It is important to recognize that the theory allows for intuitive, noncerebral
choices, or ‚gut reactions,‘ of this type“.84
Diese Grundannahme gilt auch für den hier angewandten praxistheoretischen
Zugang, insofern dieser die Mobilisierung von Emotionen auf ein praktisches
Wissen zurückführt. Scheer baut das Konzept der Emotionspraktiken in we-
sentlichen Elementen auf der Praxistheorie Pierre Bourdieus auf, dessen Aus-
einandersetzung mit gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen dabei aber
eine Nebenrolle spielt. Zentral sind vielmehr die grundlegenden Elemente seiner
Praxistheorie, insbesondere das Habitus-Konzept (vgl. Kap. 2.1.2), das trotz aller
Kritik zum Inbegriff der Vorstellung eines inkorporierten Wissens geworden ist,
dem Akteure in ihrer Alltagspraxis folgen und das sie zugleich permanent neu
gestalten.85 Auch Emotionen sind nicht primär an explizierbare Wissensbestände
gebunden, sondern gehen aus einem „embodied knowledge“86 hervor, das im All-
tag bestimmte Arten und Weisen des Fühlens nahe legt, verwehrt oder eröffnet.
Für die konkrete Erforschung von Vergnügen ergibt sich daraus zugleich ein
entscheidendes Problem. Auch bei uns gut vertrauten Vergnügungstätigkeiten
wissen wir meist nicht genau, inwiefern sie uns Freude bereiten. Wir haben ein-
fach Spaß an diesem Film oder jenem Spiel, ohne die Freude daran spezifizie-
ren zu können. Das Wissen um die verschiedenen Facetten eines Vergnügens
bleibt implizit, und wo man es explizit zu fassen bekommt, fehlen meist adäquate
sprachliche Repräsentationen unserer Gefühle – man stößt hier, wie es Carmen
Weith formuliert, auf die „Grenzen des Sagbaren“.87 Aus ethnografischer Pers-
pektive können wir also zwar annehmen, dass verschiedene Vergnügungstätig-
Lebens – Gerhard Schulzes „Erlebnisgesellschaft“. In: Uwe Schmank/Dies. (Hg.): Soziolo-
gische Gegenwartsdiagnosen I. Eine Bestandsaufnahme. Opladen 2000, S. 75-89.
83 | Zillmann: Mood Management through Communication Choices, S. 329.
84 | Ebd.
85 | Vgl. dazu insbesondere Scheer: Are Emotions a Kind of Practice, S. 199-209.
86 | Ebd., S. 209.
87 | Carmen Weith: Alb-Glück. Zur Kulturtechnik der Naturerfahrung. Tübingen 2014, S.
67. Ähnliche Konflikte mit einem „Unaussprechlichkeitstopos“ bei der Erforschung äs-
thetischer Erfahrungen diskutiert Mohini Krischke-Ramaswamy: Ästhetische Erfahrungen
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364