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Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationaler Kooperation und
Konkurrenz28
Mit der Entdeckung der künstlichen Radioaktivität durch das Ehepaar Joliot-Curie
sowie dem Nachweis der Bedeutung thermischer Neutronen durch Enrico Fermi 1934
deutete sich ein qualitativer Sprung in der experimentellen Radioaktivitäts- und Kern-
forschung an. Die Kern
forschung entwickelte sich in den 1930er Jahren unter Einsatz
von Teilchenbeschleunigern, Massenspektroskopen und anderen großtechnischen Ge-
räten stürmisch weiter. Wie die Kernforschung in Österreich, deren nationale wie in-
ternationale Reichweite maßgeblich von der Verfügungsgewalt über starke radioaktive
Präparate als Strahlungsquellen abhing, auf diese Herausforderung reagierte, ist Gegen-
stand des dritten Kapitels. Es bedurfte sehr viel größerer finanzieller Mittel, um die
Kernforschung an vorderster Front mitzubestimmen. In Österreich verschlechterte
nicht nur die rigide Sparpolitik der autoritären ständestaatlichen Regierung die mate-
riellen Bedingungen der Kernphysik. Die scientific community der Kernforschung in
Österreich hatte auch im zunehmend härteren Wettbewerb um außerstaatliche For-
schungsförderung schlechte Karten und geriet so schon Mitte der 1930er Jahre in eine
gravierende strukturelle Krise.
Das vierte Kapitel widmet sich den Brüchen und Kontinuitäten, die die Radioakti-
vitäts- und Kernforschung in Österreich während des Zweiten Weltkriegs prägten.
Dazu zählte nicht nur die Vertreibung und Emigration jüdischer und politisch verfolg-
ter Kernphysiker und Kernphysikerinnen nach der Eingliederung des Landes in das
nationalsozialistische Deutsche Reich. Auch die Mitarbeit am Forschungsprogramm
des deutschen Uranvereins bestimmte die weitere Entwicklung der Kernforschung in
Österreich. Das Kapitel zeigt, welchen Stellenwert (Zu-)Arbeiten an einer »Uranma-
schine« für militärische oder zivile Zwecke in der Forschungsagenda hatten, und wie
die Rivalität um knappe Ressourcen
– Personal, Schweres Wasser, Uran
– zwischen den
verschiedenen Mitgliedern des Uranvereins die experimentelle Arbeit auf österreichi-
scher Seite beeinflusste.
Das abschließende fünfte Kapitel geht der Frage nach, wie Kernforscher und -for-
scherinnen in Österreich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Anschluss an die
internationale scientific community der Kernphysik suchten. Deren Zentrum hatte
sich während des Krieges endgültig von Europa in die USA und die Sowjetunion ver-
schoben. Der Kalte Krieg warf bereits seine Schatten voraus – die Siegermächte des
Zweiten Weltkriegs hatten ein eigenes Interesse daran, das intellektuelle Potenzial der
besiegten Länder Deutschland und Österreich zu nutzen, oder, wo dies nicht möglich
oder erwünscht war, dem Gegner vorzuenthalten. Realiter fanden Kernforscher und
-forscherinnen aus Österreich bei den Alliierten allerdings dann doch weniger Anklang
als erhofft. Dieser Umstand spiegelte ihre seit Jahren nachlassende Bedeutung im in-
ternationalen Netzwerk der Kernphysik wider. Die Studie schließt mit einem Ausblick
auf die frühe Nachkriegszeit : Sie wird als Endpunkt einer Entwicklungslinie gewertet,
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369