Seite - 108 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 108 -
Text der Seite - 108 -
Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932108
schränkten Mittel musste er seine Forschung zur Radioaktivität gleichwohl einstellen.
Er wandte sich stattdessen luftelektrischen Untersuchungen zu und setzte 1926 mittels
einer Sonderdotation des Bundesministeriums für Unterricht seine vor dem Krieg be-
gonnenen Höhenstrahlungsexperimente fort.65 Doch war auch dies angesichts der
schwachen Grazer Radiumpräparate nur eingeschränkt möglich.66 Der Materialman-
gel, mehr aber noch die Tatsache, dass sich Hess in Graz nie sehr wohl fühlte, bewogen
ihn 1931 die Lehrkanzel für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck zu
übernehmen, wobei er einen großen Teil der Grazer Apparate mitnahm.67
Unter den Exner-Schülern der ersten und zweiten Generation überwog allerdings
der Wille zur Kooperation. Ihr Netzwerk trug dazu bei, die mitunter widerstreitenden
Interessen auszugleichen und materielle Härten abzufedern, indem Ressourcen ge-
tauscht und verschenkt wurden. Da die Angehörigen der ersten Generation, anders als
zu ihrer Assistentenzeit, nur noch in geringem Umfang gemeinsam wissenschaftlich
arbeiteten, gewannen symbolische Akte an Bedeutung : Feste, bei denen der soge-
nannte Exner-Becher von einem Mitglied zum nächsten wanderte, und Gedenkfeiern,
wie die Errichtung des Exner-Denkmals im Arkadenhof der Universität Wien 1937,
trugen ebenso zum Zusammenhalt bei wie die Erstellung von Nachrufen für verstor-
bene Mitglieder des Kreises.68 Die symbolische Ebene hatte eine durchaus handfeste
Entsprechung. So tauschten die Mitglieder untereinander Präparate und Instrumente,
die sie an ihre Schüler und Schülerinnen weitergaben. Das Institut für Radiumfor-
schung war eine zentrale Anlaufstelle, um radioaktive Präparate für Höhenstrahlungs-
experimente, luftelektrische Forschungen und die Radioaktivitätsforschung zu bezie-
hen. Aus Loyalitätsgründen bevorzugte Meyer die Anfragen von Mitgliedern des Ex-
ner-Kreises tendenziell.69 Man half sich zudem gegenseitig dabei, Forschungsgelder
65 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 992/5G : Hess an Bundesmini-
sterium für Unterricht vom 18.10.1926. Siehe zu den Arbeiten von Hess Bauer 1999, 80–81 ; Steinmau-
rer 1985, 29.
66 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 13, Fiche 205 : Hess an Meyer vom 18.1.1930. Das Ergebnis
dieser Arbeiten ist publiziert bei Reitz 1931.
67 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 13, Fiche 205 : Hess an Meyer vom 7.6.1930.
68 Vgl. zur Verleihung des Wanderbechers an Hans Benndorf AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15,
Fiche 239 : Kohlrausch an Meyer vom 18.10.1930 ; zur Geburtstagsfeier Exners AÖAW, FE-Akten, IR,
NL Meyer, K 13, Fiche 212 : Hevesy an Meyer vom 28.3.1919 ; zur Geburtstagsfeier Benndorfs AÖAW,
FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 239 : Kohlrausch an Meyer vom 4.11.1930 ; zur Geburtstagsfeier
Schweidlers AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 10, Fiche 156 : Benndorf an Meyer vom 6.12.1932,
und zur Errichtung des Hasenöhrl-Denkmals AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 238 : Kohl-
rausch an Meyer vom 8.5.1922.
69 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 13, Fiche 205 : Hess an Meyer vom 1.2.1930 (Radium-Präpa-
rat) ; ebd., K 10, Fiche 156 : Benndorf an Meyer vom 27.2.1932 (Polonisierung von Blechen).
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369