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Das Zentrum (re-)formiert sich 127
in Orange, New Jersey leitete und insofern mit den Belgiern konkurrierte, seinen ehe-
maligen Chef umgehend darüber, dass
»unser Präsident […] dieselben [Werbeprospekte der Union Minière, S. F.] in Brüssel beim
amerik[anischen]. Consul gesehen und mir erzählt [hat], dass er Ihren Namen als ›Consu-
lent‹ in dem Prospekt erwähnt gesehen hat. […] Ich weiss, dass Sie unter keinen Bedingun-
gen mit kommerziellen Unternehmen ›verbandelt‹ sein wollen und dachte mir eben, dass
wieder einmal ein Missbrauch vorliegen müsse.«162
Von Missbrauch konnte keine Rede sein. Vielmehr nutzte Meyer seine industriellen
Kontakte, um neben Devisen an radioaktives Material für sein Institut zu gelangen.
Die Belgier zeigten sich stets großzügig, und zwar sowohl was die Bezahlung der
metro logischen Dienstleistungen des Instituts für Radiumforschung anging, als auch
in der Bereitstellung radioaktiver Substanzen für Forschungszwecke. Wie schon in der
Vorkriegszeit übermittelte Meyer zudem die Anfragen seiner in- und ausländischen
Kollegen an die Union Minière. Hönigschmid beispielsweise, der seit 1918 als Hono-
rarprofessor und später als ordentlicher Professor an der Universität München tätig war,
benötigte uranhaltige Erzproben, um das Atomgewicht des Bleis zu bestimmen. Er
wandte sich deswegen an Meyer, der zögerlich antwortete :
»Nun aber zu den Uranerzen. […] Dein Blei entstammt aus der Mischung zweier Ausgangs-
materialien, die bei uns einfach als das ›Gelbe‹ und das ›Grüne‹ bezeichnet wurden. […]. Im
Gegensatz zu dem Vorkommen von St. Joachimstal, gibt es offenbar aber am Kongo keinen
Bleiglanz von Pb commune und man kann von dort Tonnen von RaG (206) direkt erhalten,
was mir von grosser Bedeutung erscheint. […] Ulrich erinnert sich von den Belgiern gehört
zu haben, dass sie selbst von dem primären Pechblendenmaterial nur ganz wenige kleine
Stückchen besassen, ich werde trotzdem an Leemans schreiben, habe aber danach nicht viel
Hoffnung darauf, dass wir etwas davon bekommen werden.«163
Hönigschmid erhielt trotz Meyers Bedenken die angeforderten Katanga-Erze für die
Atomgewichtsbestimmung des Bleis, für das er den niedrigsten bis dahin bekannten
Wert, das Atomgewicht 206,03, ermittelte.164 Trotz aller Rücksichtnahme auf die For-
schungsarbeiten seiner Kollegen verlor Meyer die Institutsinteressen nicht aus den
Augen, wie in einem Brief an Leemans deutlich wird :
162 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 13, Fiche 204 : Hess an Meyer vom 1.2.1923.
163 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 221 : Meyer an Hönigschmid vom 7.10.1922.
164 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 249 : Leemans an Meyer vom 15.9.1923.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369