Seite - 130 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 130 -
Text der Seite - 130 -
Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932130
Institut für Radiumforschung lange Jahre Gesteinsproben auf ihren radioaktiven Ge-
halt geprüft hatte, war Ende der 1920er Jahre jedenfalls froh, nicht auf die Freigiebig-
keit der Belgier angewiesen zu sein. An Meyer schrieb er im Sommer 1930 von einem
Forschungsaufenthalt in Finnland :
»Eine der wertvollsten Bekanntschaften dürfte Bergassessor Ahlefeld sein, der Katanga, Mo-
rogoro und die neue Südafrikanische Fundstelle (Gondarija oder so ähnlich) selbst bereist
hat. Er versprach mir Material und gab mir die Adresse des neuen Leiters in Chinkolobwe,
von dem ich sicher etwas bekommen würde im Gegensatz zu den Belgiern in Europa, die
bekanntlich ziemlich zurückhaltend sind.«176
Im Vergleich zur intensiven Zusammenarbeit mit den Belgiern war der Kontakt des
Instituts für Radiumforschung mit der Radiumindustrie in Österreich bescheiden. Die
Treibacher Chemischen Werke in Kärnten, eine Gründung Auer von Welsbachs, stell-
ten ähnlich wie die deutsche Auergesellschaft vor allem Radiothor und Mesothor sowie
Radium im Umfang von jährlich circa zehn Gramm her.177 Der Verleih von Präparaten
für wissenschaftliche Zwecke ist für die 1920er Jahre nicht belegt. Allerdings profitierte
das Institut für Radiumforschung indirekt von den jahrelangen engen Kontakten zu
Auer von Welsbach. Auer, der seine Präparate von Seltenen Erden in ganz Europa
verlieh, spendete die dafür erhaltenen Gelder dem Institut.178 Nach Auer von Wels-
bachs Tod 1929 verwaltete Meyer dessen Präparate treuhänderisch, bis die Wiener
Akademie diese, gemeinsam mit einigen noch in Treibach befindlichen Präparaten,
1937 von den Erben Auers zur wissenschaftlichen Betreuung und Weiterarbeit offiziell
übernahm.179
Indem das Institut für Radiumforschung sich am kolonialistischen Projekt Belgiens
beteiligte, die kongolesischen Uranvorkommen auszubeuten, schuf es einen mehr als
ausreichenden Ersatz für die verlorengegangenen Kontakte zur tschechoslowakischen
Radiumindustrie. Das Institut geriet damit unweigerlich in Konkurrenz mit dem La-
boratoire Curie in Paris, dessen Leiterin Curie ihre industriellen Kontakte ebenso
auszubauen suchte wie Meyer in Wien. Allerdings trat die Konkurrenzsituation nicht
offen zutage, da der Wissenschaftsverkehr zwischen Frankreich, Belgien und Öster-
reich ohnehin noch immer gestört war. In Wien wurden unbemerkt von der Öffent-
lichkeit wichtige Voraussetzungen geschaffen, um das sich gerade erst herausbildende
176 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 236 : Kirsch an Meyer vom 31.8.1930.
177 Vgl. Fattinger 1937, 15.
178 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 308 : Meyer an Siegbahn vom 27.12.1921 und Sieg-
bahn an Meyer vom 29.5.1922.
179 Vgl. AMPG, III. Abt., Rep. 45 NL Paneth, Nr. 77,3, Bl. 14 : Meyer an Paneth vom 24.4.1937.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369