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beiden Instituten eine kleine Menge des für die Standards verwendeten Radiums zur
Verfügung, so dass dessen Mesothorgehalt bestimmt werden konnte. Curie bat Walther
Gerlach in München darum, das optische Spektrum der Präparate zu bestimmen.9
Im Gegensatz zu Meyer, der von der Qualität der belgischen Erze überzeugt war, miss-
traute Curie nach wie vor dem Brüsseler Material und wollte dessen Qualität mit
größtmöglicher Präzision bestimmen.10
Neue Standards zu erstellen, brachte für alle Beteiligten Vorteile. Für die Union
Minière machte die Menge, die sie an Hönigschmid schickte, nur einen Bruchteil der
97 Gramm Radium aus, die sie insgesamt für wissenschaftliche und medizinische Zwe-
cke spendete.11 Ihre Freigiebigkeit wurde reich belohnt, denn sie erhielt im Austausch
das reinste Radium, welches zu jener Zeit erhältlich war.12 Außerdem fertigte Hönig-
schmid 20 neue Radiumstandards in Größen zwischen zehn und 100 Milligramm
Radium, die der Union Minière zur weiteren Verwahrung und zum Verkauf übergeben
wurden.13 Im Gegenzug bekam er von der Union Minière eine für wissenschaftliche
Verhältnisse enorm große Menge Radium als Leihgabe, mittels derer er seinen Ruf als
Präzisionsarbeiter mehren konnte.14 Bereits 1929 hatte Hönigschmid, einem Vor-
schlag Meyers folgend, mit dem Gedanken gespielt, das Atomgewicht des Radiums
chemisch neu zu bestimmen. Damals schlug das belgische Unternehmen Meyers Bitte
noch aus, eine größere Menge Radium nach München zu schicken, da die Union Mi-
nière zu jener Zeit über keine Radiumvorräte verfügte. 1933 kam es Meyers Bitte
schließlich doch nach.15
Hönigschmid war einer der wenigen Radioaktivisten, die das Atomgewicht des
Radiums radiochemisch annähernd so exakt bestimmten, wie dies erst später mit Prä-
zisionsmessgeräten auf physikalischer Grundlage möglich werden sollte. Der Münche-
ner Radiochemiker überließ mit Einverständnis der Union Minière dem Institut für
Radiumforschung sämtliche radioaktiven Rückstände, die bei der Erstellung der neuen
9 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 351 : Meyer an Curie vom 19.6.1934.
10 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 351 : Curie an Meyer vom 25.4.1934.
11 Vgl. AR-AGR, UM, 259/1191 : Memorandum zum Radium vom 6.1.1939.
12 Vgl. Weiss 1956, 43.
13 Vgl. AR-AGR, UM, 259/1072 : Liste der von Prof. Hönigschmid für die Union Minière hergestellten
Radiumstandards vom 24.3.1941.
14 Das gesamte Präparat von drei Gramm Radium hatte einen Wert von 600.000 Mark. Vgl. AÖAW, FE-
Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 223 : Hönigschmid an Meyer vom 21.6.1933. Hönigschmid hatte
Mühe eine Versicherung zu finden, die für einen möglichen Verlust des Präparats infolge der Verarbei-
tung oder durch Diebstahl aufkommen wollte. Nach einigem Hin und Her übernahm die Union Mi-
nière selbst die Versicherung des Präparats, das per Flugzeug nach München in Hönigschmids Labor
gebracht wurde.
15 Hintergrund war das florierende Geschäft mit Radium. 1929/30 erreichten Umsatz und Export des Un-
ternehmens von Radium ihren historischen Höchststand. Vgl. Adams 1993, 499.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369