Seite - 187 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Bild der Seite - 187 -
Text der Seite - 187 -
Das Zentrum behauptet sich 187
Unter den Kernphysikern und Kernphysikerinnen in Europa, den Vereinigten Staa-
ten und Japan war die Reaktion auf die Geräte-Revolution der frühen 1930er Jahre
geteilt. Während Forschungsgruppen in Italien, dem Deutschen Reich und auch
Öster reich in Ermangelung der notwendigen materiellen Ressourcen an den her-
kömmlichen Strahlungsquellen festhielten, bauten andere in enger Kooperation mit
Ingenieuren ihre Laboratorien gleichsam um die Instrumente herum.39 Die US-ameri-
kanischen Universitäten machten damit den Anfang.40 Sie erhielten eine umfangreiche
Förderung durch die Rockefeller Foundation, die in den 1920er und 1930er Jahren
eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der USA zur führenden Wissenschaftsnation
im Bereich der Atom- und Quantenphysik spielte.41 Doch auch der Staat unterstützte
die Universitäten. Selbst in Zeiten tiefster wirtschaftlicher Depression zwischen 1931
und 1940 übernahmen verschiedene US-Regierungsstellen rund 60 Prozent der laufen-
den Kosten für die neue Technologie.42 Die Rockefeller Foundation sowie eine Reihe
weiterer privater Stiftungen und Mäzene engagierten sich auch in Europa in der groß-
technisch basierten Kernphysik.43 Obwohl Zyklotrone hier nur halb so schnell errich-
tet wurden wie in den USA, begann Mitte der 1930er Jahre die Jagd nach immer
leistungsfähigeren Geräten.44
Im Cavendish Laboratory, das seit den frühen 1930er Jahren zunehmend unter
Konkurrenzdruck durch andere britische Laboratorien geriet, setzte Rutherford alles
daran, im Wettlauf um leistungsfähige Großgeräte mitzuhalten.45 Allerdings standen
nicht nur er, sondern auch viele seiner Kollegen der Zyklotron-Entwicklung von Law-
rence skeptisch gegenüber.46 Ihrer Meinung nach produzierte das Gerät einen zu ge-
ringen Neutronenstrahl. Die Kernphysiker um Marc Oliphant konzentrierten sich
stattdessen darauf, einen Protonenbeschleuniger weiterzuentwickeln, mit dem sie die
Experimente von Cockcroft und Walton zur Erforschung von Kernprozessen fortführ-
ten.47 1935 spendete der britische Autohersteller Aston Rutherford 25.000 Pfund
39 Vgl. Pinault 2003, 120–121.
40 Vgl. Baird/Faust 1990, 149–156.
41 In der von Warren Weaver entworfenen Klassifikation der durch die Rockefeller Foundation geförderten
neuen Forschungsfelder fiel das Zyklotronprogramm in Berkeley gemeinsam mit der Isotopenproduk-
tion in den Bereich der Molekularbiologie. Vgl. Heilbron/Seidel 1989, 220.
42 Vgl. Kevles 1992, 204, 210–211 ; Weart 1979b, 312.
43 Vgl. Gray 1978. Für das Fallbeispiel der Physik im Deutschen Reich siehe Macrakis 1989.
44 Vgl. Heilbron 1986.
45 Vgl. Churchill Archives Centre Cambridge, James Chadwick Papers, ab sofort : CAC, CHAD II 1/17 :
Rutherford an Chadwick vom 12.10.1937.
46 Vgl. Brown 1997, 130–131, 151, 166.
47 Vgl. Heilbron/Seidel 1989, 132–133, 158. Rutherford drang selbst darauf, dass bei den Experimenten
Oliphants relativ niedrige Energiemengen bis circa 800 Kilovolt zum Einsatz kamen. Die Experimente
sollten die Schwelle erkunden, an der Protonen Kernreaktionen hervorrufen, das Ergebnis dieser Reakti-
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369