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Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«,
1938–1945268
schaftlichen Ziele des Vierjahresplans ausrichten sollte. Im Frühjahr 1942 begann Al-
bert Speer, der kurz zuvor berufene Reichsminister für Bewaffnung und Munition,
unterstützt vom einflussreichen Präsidenten der KWG Albert Vögler, den RFR zu re-
organisieren.165 Im Zuge dieser Umstrukturierungen stellten die für Rüstung zustän-
digen Ministerien größere Summen für die naturwissenschaftliche Forschung be-
reit.166 Dazu zählte auch die in den Augen Speers vernachlässigte Kernforschung.167
Reichserziehungsminister Rust übertrug die Federführung im Uranverein im Früh-
jahr 1942 dem Jenaer Physiker Abraham Esau, der seit 1937 die Fachsparte Physik des
RFR leitete und als überzeugter Nationalsozialist über gute Kontakte in die Industrie,
zu hohen politischen Vertretern des nationalsozialistischen Staates und zur Luftwaffe
verfügte.168 Als sich das Kriegsglück des Deutschen Reiches 1942/43 wendete, rückte
auf der Suche nach einer Wunderwaffe der Bau einer Uranbombe möglicherweise doch
wieder in den Fokus des Militärs.169 Offiziell ging es aber weiter darum, das Potenzial
der Kernspaltung als zivil nutzbare Energiequelle zu erforschen. Das Projekt kam in
Schwung, als der Münchener Physiker Walther Gerlach auf Betreiben Heisenbergs
1943 die Leitung der Fachsparte Physik im RFR übernahm. Als Bevollmächtigter des
Reichsmarschalls für das deutsche Uranprojekt koordinierte er die am Uranverein be-
teiligten Forschungsinstitute.170 Es gelang Gerlach, die rivalisierenden Projekte inner-
halb des Uranvereins, allen voran die Gruppen um Heisenberg in Berlin beziehungs-
weise Hechingen und um Kurt Diebner in Gottow, gleichermaßen zu unterstützen.
Spätestens seit Beginn des Jahres 1944 hatte die Arbeit an der »Energiegewinnung aus
der Atomkernspaltung« höchste Priorität.171
Die Wiener Gruppe um Georg Stetter erhielt bis in die letzten Kriegsjahre hinein
beträchtliche finanzielle Zuwendungen seitens des RFR. Zwischen April 1943 und Mai
1944 wurden an die Physikalischen Institute der Universität Wien und das Institut für
Radiumforschung 22.500 Reichsmark gezahlt. Es handelte sich um einen Betrag mitt-
lerer Größenordnung, wie ihn etwa auch die Gruppen um Boris Rajewsky in Frankfurt,
Klaus Clusius in München oder Kurt Diebner in Gottow erhielten.172 Im Rechnungs-
jahr 1944/45 sollte das II. Physikalische Institut nach Kalkulationen Gerlachs noch
165 Vgl. Flachowsky 2008, 283–284.
166 Vgl. Weiss 2000, 711.
167 Speer, Erinnerungen, zitiert bei Flachowsky 2008, 286.
168 Vgl. Flachowsky 2008, 232, 243, 286.
169 Vgl. Karlsch 2005 ; Karlsch/Walker 2005.
170 Vgl. AMPG, I. Abt., Rep. 34 KWI für Physik, Moskauer Akten, Nr. 37 : Esau an Mitglieder des Uran-
vereins vom 19.3.1943.
171 Vgl. Walker 2005, 26–27, 31.
172 Vgl. AIP, Samuel Goudsmit Papers, Series IV, Box 27, Folder 30 : Walther Gerlach, Abrechnung über die
Zeit vom 1.4.43–1.5.44 vom 26.5.1944.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369