Seite - 328 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Generationen von Exner-Schülern trug dazu bei, das regionale Netzwerk stabil zu
halten. Doch es blieb dadurch geographisch auf die deutschsprachigen Universitäten
der Habsburgermonarchie und ihrer Nachfolgestaaten begrenzt.
Die meisten Schüler und Schülerinnen Exners verließen Wien nach ihrer Ausbil-
dung und setzten ihre beruflichen Karrieren an anderen österreichischen Universitäten
fort. Von der Peripherie aus arbeiteten sie nur noch selten an gemeinsamen For-
schungsprojekten mit ihren Wiener Kollegen und Kolleginnen. Doch sie standen in
lebhaftem Briefkontakt und waren dadurch gut darüber informiert, unter welchen
Bedingungen ihre Freunde und einstigen Studienkollegen und -kolleginnen forschten
und lehrten. Die gemeinsame Erfahrung, durch Franz Serafin Exner experimentell
ausgebildet worden zu sein, prägte ihren Denkstil und die Art und Weise, wie sie sich
ihrem Forschungsgegenstand näherten. Das Experiment stand über der Theorie, und
als findige Instrumentenbauer machten sich die Schüler und Schülerinnen Exners in
metrologischen Fragen international einen Namen.
Die Initiative, die Wiener Radiumvorräte für innovative Forschungsansätze zu nut-
zen, kam im krisengeschüttelten Nachkriegsösterreich aus dem Ausland. Der Schwede
Hans Pettersson, der die Atomzertrümmerungsforschung in Wien aufbaute, finan-
zierte seinen Aufenthalt in Wien durch ein Stipendium der Rockefeller Foundation.
Die Stiftung verfehlte damit aber ihr eigentliches Ziel. Denn ursprünglich war geplant,
die Haupt- und einstige Residenzstadt des Habsburgerreiches über das Kriegsende
hinaus als Ausbildungsstätte für den wissenschaftlichen Nachwuchs aus den einstigen
Kronländern in Südost- und Osteuropa zu stärken. Von den Rockefeller-Geldern pro-
fitierte neben Pettersson eine Forschungsgruppe, der Forscher und Forscherinnen aus
fünf Nationen angehörten. Die Wiener sollten nach dem Willen der Rockefeller-
Funktionäre gefördert werden, um mit den um Rutherford versammelten Kernfor-
schern in Cambridge in einen für beide Seiten fruchtbaren wissenschaftlichen Wett-
streit zu treten.
Mit Petterssons Rückkehr nach Schweden ging in Wien ein wichtiger Ideengeber
verloren. Unter den Verbliebenen fehlte eine wissenschaftliche Persönlichkeit, die den
Forschungsaktivitäten inhaltlich eine neue Richtung gegeben und sie so für die inter-
nationale Wissenschaftsförderung attraktiv gemacht hätte. Geldmangel, aber auch
schwierige politische Rahmenbedingungen schränkten die Mobilität und internatio-
nale Sichtbarkeit der in Österreich verbliebenen Kernforscher und Kernforscherinnen
in den 1930er Jahren immer weiter ein. Doch auch inhaltlich blieben sie bestehenden
Traditionen verhaftet, indem sie an einer empirischen, auf die Erhebung kernphysika-
lischer Daten ausgerichteten Forschung festhielten. Diese Stärke konnten sie im deut-
schen Uranverein zwar ausspielen, doch gelang es nicht, den Wirkungskreis nennens-
wert gegenüber anderen Gruppen zu vergrößern.
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Titel
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Untertitel
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Autor
- Silke Fengler
- Herausgeber
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Kategorien
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369