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tionalsozialismus69, und die Unterschiede zu einem faschistischen System
sichtbar zu machen.70 Die Geschichte Österreichs ab März 1933 wird als „se-
midiktatorische Phase“71 bzw. als „semifaschistisch-autoritäre Diktatur“72 be-
schrieben, doch nicht ohne den Hinweis auf die 1935 eingeleitete „partielle(n)
Defaschisierung“73. Schuschniggs Handlungsspielraum sei insgesamt gering
gewesen74, seine Politik im Juli 1936 allerdings gleichwohl schwer nachvoll-
ziehbar.75 Dasselbe gelte für die in die Westmächte gesetzten Erwartungen.76
Ähnlich lautet der Tenor der Ausführungen von Peter Berger in seiner
2008 erschienenen Kurze(n) Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Das
Kapitel über die Jahre 1933–1938 ist mit „Ständestaat“ (ohne Anführungs-
zeichen) überschrieben, mitunter verwendet er aber auch das Wort „Aus-
trofaschismus“. Auch er unterstellt der österreichischen Regierung nicht die
Absicht, auf Dauer mit Notstandsparagraphen zu regieren, allmählich habe
sich aber eine Eigendynamik entwickelt.77 Obwohl das primäre Ziel die Be-
kämpfung des Nationalsozialismus gewesen sei, seien de facto die Maßnah-
men gegen die Sozialdemokratie mehr ins Gewicht gefallen.78 Auch Berger
gesteht Dollfuß den Willen zu, sich von Mussolini zu emanzipieren79, und
Schuschnigg versucht er verstehend gerecht zu werden.80 Obwohl er die
Möglichkeit einer Öffnung nach links andenkt, räumt er ein, dass es 1938
für Österreich kaum noch Möglichkeiten gegeben hätte, sich der Bedrohung
durch das Deutsche Reich zu entziehen.81 Die aus heutiger Sicht bestehen-
den Demokratiedefizite spricht Berger klar an, aber er ortet sie nicht nur
innerhalb der (ehemaligen) christlichsozialen Partei, sondern vermisst in
allen Lagern echten Pluralismus. Bei den Sozialdemokraten habe dem Kon-
zept der organischen, „wahren“ Demokratie das Konzept von Demokratie
als zeitgebundenen Organisationsrahmens für ein bestimmtes Stadium des
Klassenkampfs entgegengestanden. Für keine der beiden Gruppen sei De-
mokratie demnach „ein Wert an sich“ gewesen.82
69 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 205 und 211–213.
70 binder, Der „Christliche Ständestaat“, besonders 203 und 210.
71 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 209.
72 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 210.
73 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 210.
74 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 214 f.
75 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 219 f.
76 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 226 f.
77 P. berGer, Kurze Geschichte, 153.
78 P. berGer, Kurze Geschichte, 155–160.
79 P. berGer, Kurze Geschichte, 160.
80 P. berGer, Kurze Geschichte, 175 f.
81 P. berGer, Kurze Geschichte, 185.
82 P. berGer, Kurze Geschichte, 420.
1.1 DIE GELTENDE MEISTERERZÄHLUNG – UND WAS SIE OFFEN LÄSST 27
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580