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samt war die Kontrolle der Presse nicht annähernd so rigoros wie im Dritten
Reich oder in Italien.91
1936 wurde unter maßgeblicher Beteiligung von Rudolf Henz eine Presse-
kammer errichtet.92 Man wollte die Presse dafür verwenden, das „Einzelin-
dividuum“ zum „geistigen Mitarbeiter“ zu machen.93 Henz trat zwar für die
Freiheit der Presse ein, forderte aber von allen in diesem Bereich Tätigen
rückhaltloses Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Staat.94
Die Pressekammer bemühte sich um die Ausbildung junger Journalis-
ten; Übungsleiter waren u. a. Guido Zernatto, Friedrich Funder oder Wal-
ter Adam.95 Eduard Ludwig war auch Präsident der 1935 gegründeten
Österreichischen Gesellschaft für Zeitungskunde, die sich im Dienst einer
„geordneten menschlichen Gesellschaft“ verstand; Funder saß im Vor-
stand. Dieselben Personen, dazu Ludwig Adamovich und Johannes Mess-
ner, waren als Dozenten an einer geplanten Akademie für Presse und Poli-
tik vorgesehen.96
Die eben genannten Namen bekunden die Dichte personeller Verflechtun-
gen im österreichischen Mediensystem der dreißiger Jahre.97 Ludwig wurde
1937 mit einer Reform des Pressegesetzes betraut, das eine Machtkonzen-
tration beim jeweiligen Hauptschriftleiter vorsah; es trat allerdings nicht
in Kraft.98 Seine Überzeugung, die Presse und überhaupt das geschriebene
Wort müssten sich in den Rahmen der Gesamtarbeit des Staates einglie-
dern99, blieb gleichwohl bestehen. Manche Blätter standen der Regierung
bzw. der ehemaligen CSP sehr nahe, insbesondere die formell unabhängige
Reichspost, eine der bestinformierten Zeitungen Österreichs.100 Allerdings
kritisierte gerade Friedrich Funder, ab 1902 Chefredakteur und ab 1904
auch Herausgeber dieses Blattes101, 1937 im Bundestag die Pressepolitik der
Regierung und sprach offen von Zensurpraktiken.102
91 ebneth, Wochenschrift, 166; Golowitsch, Der berufsständische Aufbau, 30; neuGebauer,
Repressionsapparat, 310.
92 S. amann, Kulturpolitische Aspekte, 125; tálos, Herrschaftssystem (2013), 428–431.
93 Kromar, „Österreich-Mythos“, 36 f.
94 S. amann, Kulturpolitische Aspekte, 120–122; sPielhofer, Pressefreiheit, 50–52.
95 sPielhofer, Pressefreiheit, 57 f.
96 Golowitsch, Der berufsständische Aufbau, 88–94; Kromar, „Österreich-Mythos“, 74.
97 höcK, Medienpolitik, 49.
98 Kromar, „Österreich-Mythos“, 35; sPielhofer, Pressefreiheit, 25.
99 duchKowitsch, Umgang, 363 f.; vgl. huber, Die Verfassung, 146 f.
100 busshoff, Dollfuß-Regime, 15; ebner, Politische Katholizismen, 189; Kromar, „Öster-
reich-Mythos“, 77; sPielhofer, Pressefreiheit, 28; weinZierl, Konservativismus, 16.
101 staudinGer, Christlichsoziale Partei, 252; wohnout, Bürgerliche Regierungspartei, 182.
102 sPielhofer, Pressefreiheit, 71 und 79.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN68
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580