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1936 erhielt Österreich in der auf Anregung von Bundeskanzler Schusch-
nigg begründeten und von Johannes Messner (Kap. 3.4) herausgegebenen
Monatsschrift für Kultur und Politik ein katholisch-konservatives Blatt, das
ganz und gar „österreichisch“ war, sich aber, ohne unkritisch zu sein, vom
radikal antinationalsozialistischen CS distanzierte.139 Dass alle genannten
Organe, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen, dasselbe Ziel verfolgten,
zeigt die Tatsache, dass Messner zunächst Mitarbeiter des NR gewesen und
dann über Eberle in die Schriftleitung der SZ gekommen war.140
Der österreichische Ständestaat als christlicher Staat
Entsprechend der im LThK/I zitierten Auffassung der Kirche, menschli-
che Gesetze dürften nur Ausfluss der göttlichen sein und Gottesverehrung
könne nicht „Privatsache des einzelnen Bürgers“ sein141, arbeiteten Staat
und Kirche in Österreich in den dreißiger Jahren eng zusammen.142 Die Inte-
gration des religiösen Lebens in das staatliche darf geradezu als Wesenszug
des damaligen politischen Systems bezeichnet werden. Die als kritisch sich
verstehende Forschung hat darauf mit der sogenannten Akkomodations-
these reagiert143, neuerdings auch mit der These beiderseitiger Machtinte-
ressen als Motiv für die Zusammenarbeit.144 Eine Demonstration dieser Zu-
sammenarbeit bot der Allgemeine Deutsche Katholikentag am 9. September
1933 in Wien.145
In der 1934 nach italienischem Vorbild neu organisierten KA vollzogen
sich in Abstimmung mit dem Heiligen Stuhl Prozesse, die denen im Staat
vergleichbar waren, etwa die Berufung der Mitarbeiter seitens der hierar-
chischen Führung: Der Autoritätsgedanke entspreche dem Wesen der ka-
tholischen Kirche; der Bischof sei nur nach oben, in letzter Konsequenz Gott,
nicht nach unten verantwortlich.146 Ständisches Denken war in der KA stark
ner-Spitzenberg, 9; zu den Vorgängen um den CS vgl. auch seefried, Reich, 189 und 208–
210.
139 buchmayr, Der Priester, 111; hofer, Joseph Eberle, 126; rumPler, Ständestaat, 234; strei-
tenberGer, Leitbild, 131.
140 schweitZer, Volkstumsideologie, 60.
141 LThK/I 9 (1937), 745–748 (A. scharnaGl).
142 tálos, Herrschaftssystem (2013), 248–251.
143 ebner, Politische Katholizismen, 166.
144 ebner, Politische Katholizismen, 185.
145 ebner, Politische Katholizismen, 167–169; hanisch, Der Politische Katholizismus, 76 f.;
JuffinGer, Politischer Katholizismus, 42; tálos, Herrschaftssystem (2013), 242–245.
146 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 207 f.; ebner, Politische Katholizismen, 182 f.; lieb-
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN72
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580