Seite - 76 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 76 -
Text der Seite - 76 -
viele suchten daher die Annäherung an das Deutsche Reich.183 Der Protes-
tantismus wirkte auch als Bezugspunkt für die Anhänger der Los-von-Rom-
Bewegung.184 Daraus entstand das Odium deutschnationaler, wenn nicht
nationalsozialistischer Sympathie.185 Dies war nicht nur Bundeskanzler
Schuschniggs Einschätzung, sondern auch lokale Behörden reagierten hie-
rauf sensibel, selbst im Umgang mit Geistlichen.186 Walter Adam warf den
Protestanten geradezu die Förderung staatsfeindlicher Ideen vor.187
Das offizielle Österreich teilte die Evangelischen in Neu- und Altprotes-
tanten ein. Die Letzteren wurden akzeptiert, weil sie schon lange in Öster-
reich lebten und sich daher zu diesem Staat bekannten; gegen die Neupro-
testanten, die sich aus der österreichischem Wesen fremden Anhängerschaft
Georg von Schönerers rekrutierten, bestanden hingegen Vorbehalte.188 Der
Wiener Erzbischof Kardinal Theodor Innitzer verwendete den für die evan-
gelischen Christen neuralgischen Begriff „Gegenreformation“189, und zu die-
sem Bekenntnis Übertretende wurden mitunter zwangsweise psychiatrisch
behandelt oder bestraft, weil man Konversionen für politische Bekenntnisse
zu Sozialdemokratie oder Nationalsozialismus hielt.190 Der österreichische
Superintendent, Johannes Heinzelmann, lehnte in einem Schreiben an Bun-
deskanzler Schuschnigg vom 14. Dezember 1935 das Wort „Bekenntnis“ für
die Beziehung der evangelischen Christen zum Ständestaat unter den ge-
gebenen Umständen ausdrücklich ab, sicherte dessen „Anerkennung“ aber
zu.191
Nach der damaligen Wahrnehmung des obersten Vertreters der evangeli-
schen Kirche in Österreich war eine „Auslieferung des gesamten öffentlichen
183 barton, Evangelisch, 171; ebner, Politische Katholizismen, 175–178; Gober, Schule, 98–
101; PutscheK, Ständische Verfassung, 25 und 63 f.; reinGrabner, Protestanten, 266 f.; se-
liGer, Scheinparlamentarismus, 378 f.
184 reinGrabner, Eine Wiener Predigt, 252 f.; G. P. schwarZ, Ständestaat, 8–11; seliGer,
Scheinparlamentarismus, 231.
185 K. bauer, Elementarereignis, 165–167 und 185.
186 G. P. schwarZ, Ständestaat, 13–16.
187 G. P. schwarZ, Ständestaat, 51; tálos, Herrschaftssystem (2013), 252 f.
188 G. P. schwarZ, Ständestaat, 78.
189 Vgl. einen offenen Brief des evangelischen Superintendenten Johannes Heinzelmann vom
10. 1. 1935 an Außenminister Egon Berger-Waldenegg über die Unzufriedenheit der evan-
gelischen Christen Österreichs mit ihrer Lage; aebi et al., Gegenreformation, 4 f.; vgl. auch
ebd., 48. Zu dieser nicht in jeder Hinsicht objektiven Publikation vgl. G. P. schwarZ, Stän-
destaat, 90–92.
190 barton, Evangelisch, 169; vgl. hierzu aber kritisch G. P. schwarZ, Ständestaat, 24; tálos,
Herrschaftssystem (2013), 122 f.
191 aebi et al., Gegenreformation, 6 f.; zu seiner Haltung insgesamt dreidemy, Der Dollfuß-My-
thos, 88 f. 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN76
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580