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vor.299 In der rezenten Forschung bestehen Vorbehalte gegen Spann.300 Insbe-
sondere die Tatsache, dass der Nationalsozialismus Teile seiner Philosophie
instrumentalisierte301, wird gegen ihn vorgebracht. Spann selbst legte Wert
auf Abgrenzung seiner Positionen von denen der Nationalsozialisten.302 An-
dererseits erschienen in der die von ihm herausgegebenen Zeitschrift StL
Artikel, die um den Nachweis von Gemeinsamkeiten bemüht waren.303 Hit-
ler selbst lehnte Spann und seinen Kreis ab.304
Zu den vielfältigen Tätigkeiten Othmar Spanns gehörten auch Refe-
rate bei Kongressen der 1922 gegründeten Paneuropa-Union. Ob er deren
geistigen Vater, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi305, kannte, weiß
man nicht.306 Wichtiger ist, dass dieser in seinem 1923 erschienenen Buch
Pan-Europa und in weiteren Werken Gedanken entwickelte, die auffällige
Analogien zu denen der prägenden Denker des Ständestaates aufweisen307,
insbesondere die Kritik am bürgerlichen Freiheits- und Gleichheitsideal und
am modernen Parlamentarismus.308 Zentral ist weiters der Primat des Phi-
losophischen vor dem Politischen, wie ihn der gegen Wertrelativismus und
Skeptizismus ankämpfende Kreis um Dietrich von Hildebrand kultivierte.309
Tragende Säulen dieses komplexen Gedankengebäudes waren der Vorrang
der Aristokratie als „Qualitätsprinzip“ vor der Demokratie als „Quantitäts-
prinzip“ und eine Herrschaft der Tüchtigsten und Weisesten als Gegenent-
wurf zur „Masse“.310 Wichtig war ihm die Forderung, dass die Wirtschaft der
Politik nachgeordnet zu sein habe.311 1937 erklärte er in einer Rede in Wien
299 P. huemer, Entstehung, 578; Kaltenbrunner, Europa, 384; neisser, Eric Voegelin, 22; no-
votny, Der berufsständische Gedanke, 213; orGler, Ständestaat, 182; Pichler, Werk, 249;
resele, Ständestaatskonzeption, 58; sieGfried, Universalismus, 148 und 222; streitenber-
Ger, Leitbild, 241 f.
300 hammer, Othmar Spann, passim; seliGer, Scheinparlamentarismus, 38 f.
301 beller, A Concise History, 219; Gehler, Hochschule, 76 f.; meyer, Stand, 188. Es gibt aber
auch nationalsozialistische Stellungnahmen gegen Spann; bracher, Nationalsozialismus, 8.
302 StL 1934, 93–95 (I. roloff); 1934, 572–586 (E. v. littrow).
303 mühlfeld, Rezeption, 33; zu möglichen Berührungpunkten vgl. auch newman, Zerstörung,
352.
304 P. nolte, Ständische Ordnung, 253.
305 Biogramm bei Gehler, Der lange Weg 1, 19.
306 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 394.
307 conZe, Richard Coudenhove-Kalergi, 22; ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas,
497.
308 coudenhove-KalerGi, Held, 162 und 185; ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas,
434 f.
309 KuGler, Die frühe Diagnose, 19 und 123; seifert, Dietrich von Hildebrand, 178.
310 conZe, Richard Coudenhove-Kalergi, 13; ZieGerhofer-Prettenthaler, Europäische Christ-
demokraten, 577; ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 58.
311 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 273.
3.2 GEISTIGE ANREGUNGEN AUS DEN FRÜHEN ZWANZIGER JAHREN 87
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580