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über die Bedrohung der „europäischen Seele“ durch Bolschewismus und Na-
tionalsozialismus, es brauche eine Vereinigung „der wahrhaft Gebildeten al-
ler Nationen gegen die Mächte der Halbbildung und der Unbildung“.312 Die
zu schaffenden vereinigten Staaten von Europa sollten in erster Linie eine
geistige Gemeinschaft sein.313 Nicht zufällig setzte später die Reichsschrift-
tumskammer sein Gesamtwerk auf die Liste der Schriften, die das national-
sozialistische Kulturwollen gefährden.314
In Österreich fand Coudenhove-Kalergi seine Vorstellungen in vielen
Aspekten verwirklicht. Er würdigte den in den dreißiger Jahren unternom-
menen Versuch, die Staatstotalität zu überwinden, und lobte den Vorrang
sachlicher Kriterien vor politischen.315 Das Land war für ihn Symbol eines
als natürliche Bildung, nicht bloß als politische Idee verstandenen Mittel-
europa316, das gegen den antieuropäischen Kurs Deutschlands kämpfe. Die
Republik sei „föderalistisch, traditionsgebunden und im besten Sinne euro-
päisch“, erläuterte er 1934 in einem Schreiben an Karl M. Stepan.317 Doll-
fuss nannte er einen Vorkämpfer der „Kulturmenschheit“; er sei ein „echter,
warmer, menschlicher Mensch“ gewesen, der ein „Werk seelischer Erneue-
rung“ geschaffen habe.318 Auch die VF fand seinen Beifall, allerdings nicht
die Heimwehr.319 Der Maiverfassung bescheinigte er vorbildliche Eigenschaf-
ten.320
Der österreichischen Politik der Zwischenkriegszeit diente die Paneuropa-
idee dazu, die aus ihren limitierten Möglichkeiten sich ergebenden Hinder-
nisse zu überwinden.321 Dass mit ihr Konservatismus assoziiert wurde322,
wirkte hierbei fördernd. Faktisch war eine starke Position Österreichs auf-
grund der realen Machtverhältnisse allerdings illusorisch.323
Als Coudenhove-Kalergi seine Bewegung startete, unterstützte ihn Ignaz
Seipel, indem er sich als Präsident der Paneuropa-Union Österreich zur Ver-
fügung stellte. 1925 wurde ein Büro in der Wiener Hofburg eröffnet.324 Beim
312 Zit. nach ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 354.
313 Gehler, Der lange Weg 2, 60.
314 ePPel, Österreicher 1, 14.
315 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 393 f.
316 Gehler, Der lange Weg 1, 25.
317 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 491 f.
318 Gehler, Der lange Weg 2, 59.
319 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 493.
320 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 256.
321 Gehler, Der lange Weg 1, 19; vgl. hierzu auch Kindermann, Österreich, 72–76.
322 ZieGerhofer-Prettenthaler, Europäische Christdemokraten, 602.
323 Gehler, Der lange Weg 1, 33.
324 conZe, Richard Coudenhove-Kalergi, 50; Gehler, Der lange Weg 1, 24; Gehler/ZieGerhofer,
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN88
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580