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konkrete Verfassung. Mussolinis Korporativmodell beurteilte er sehr zu-
rückhaltend, weil es das Subsidiaritätsprinzip verletze und die Trennung
von Staat und Gesellschaft vereitle.425 Mit derselben Begründung warnten
die österreichischen Bischöfe vor faschistischen Einflüssen, die auf Öster-
reich ausstrahlen könnten.426 Für Anton Klotz war ebenfalls klar, dass die
Grundsätze von QA im faschistischen Italien nicht verwirklicht seien.427
Die fundierteste Klarstellung erfolgte von Seiten des Sozialwissenschaf-
ters Johannes Messner428, der über seinen Brixner Lehrer Sigismund Waitz
mit dem Denken Franz Martin Schindlers vertraut geworden war und es
weitertrug.429 Er stand, jedenfalls äußerlich, loyal zur Politik der Bundes-
kanzler Dollfuß und Schuschnigg430, erklärte aber, dass er den autoritären
Staat als Übergangslösung betrachtete.431
Erwähnung verdient seine Präferenz des Begriffs „Gemeinschaft“ vor
„Solidarität“: Gemeinschaft sei eine ursprüngliche Idee der Sozialethik, auf
das Gemeinwohl orientiert, Solidarität hingegen ein abgeleitetes Prinzip,
auf den Ausgleich von Interessen bedacht, und habe einen utilitaristischen
Zug.432 Anfänglich stand Messner den „Romantikern“ nahe; später distan-
zierte er sich jedoch von diesen.433 Vogelsangs Abneigung gegen den Wettbe-
werb teilte er nicht; im Appell an die Gesamtverantwortung des Wirtschafts-
treibenden sah er eine hinreichende Sicherung gegen Missbrauch. Er trat
für Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie Subsidiarität
und Selbstverwaltung ein. Zwischen Kapitalismus und berufsständischer
Ordnung sah er keine Unvereinbarkeit, denn die Leistungsverpflichtung des
Individuums diene auch dem Gemeinwohl.434 Die berufsständische Ordnung,
425 mayer-tasch, Korporativismus, 66; PelinKa, Stand, 253–257; reichhold, Opposition, 26; J.
reiter, Entstehung, 263 f.; wohnout, Verfassungstheorie, 47 f.; wohnout, Regierungsdik-
tatur, 49–52.
426 liebmann, Kirche und Politik, 33.
427 KlotZ, Probleme 2, 165 f.; vgl. mayer-tasch, Korporativismus, 145.
428 1935 erhielt Messner eine Lehrkanzel für Ethik und Christliche Sozialwissenschaften an
der Universität Wien, die er 1938 verlor; nach einer längeren Zeit in Großbritannien kehrte
er 1949 wieder dorthin zurück; weiler, Ethik, 38.
429 PytliK, Berufsständische Ordnung, 27; roos, Entstehung, 112; weiler, Ethik, 37.
430 Zu möglichen Abstrichen von diesem Bild ebner, Politische Katholizismen, 198 f.; rumPler,
Ständestaat, 230.
431 busshoff, Dollfuß-Regime, 14; neGer, Verfassung, 35; PytliK, Berufsständische Ordnung,
46 f., 50–55, 60 und 96–99; streitenberGer, Leitbild, 163 und 171.
432 huber, Die Verfassung, 22; PytliK, Berufsständische Ordnung, 29–31 und 120; senft, Im
Vorfeld, 78 f.
433 diamant, Katholiken, 175 f.; Klose, Geistige Grundlagen, 55; PytliK, Berufsständische Ord-
nung, 57.
434 streitenberGer, Leitbild, 180 f.; wohnout, Verfassungstheorie, 103.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN100
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580