Seite - 102 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 102 -
Text der Seite - 102 -
QA betreffe die Gesellschaft, nicht den Staat.447 Zahlreiche Bezugnahmen
auf Messner enthält der 1936 erschienene utopische Roman Die unsterbliche
Stadt von Josef Freiherr von Löwenthal, in dem eine Gesellschaft nach den
Prinzipien von QA entworfen und die Maiverfassung zustimmend kommen-
tiert wurde.448 Das Werk fand allerdings wenig Aufmerksamkeit; nur in der
Neuen Freien Presse449 und in der MSchKP450 erschienen Rezensionen, beide
sehr wohlwollend.
Kritik am Solidarismus mit seiner Öffnung gegenüber dem Kapitalis-
mus übten Akademiker verschiedener Disziplinen, die sich 1929 als Stu-
dienrunde katholischer Soziologen konstituierten.451 Als erster Band einer
von ihnen getragenen Schriftenreihe erschien 1932 das Katholisch-soziale
Manifest, in dem im Geist der „Sozialreform“ zeittypischen Opportunitäts-
strömungen der Kampf angesagt wurde.452 Es empfahl u. a. die Lektüre von
Othmar Spanns Der wahre Staat.453 Sein geistiger Vater war Anton Orel,
ein von Heinrich Pesch ignorierter454 und von Richard Schmitz für überheb-
lich gehaltener Soziologe455, von August M. Knoll hingegen als „der Anre-
ger und Antreiber des sozialen Katholizismus in Österreich“456 bezeichnet.
Als konservativer Denker in der Tradition Vogelsangs brachte Orel des-
sen seinerzeit nur verstreut publizierte Ideen in ein System.457 Schon früh
war er mit der christlichen Arbeiterbewegung in Berührung gekommen;
ab 1904 hatte er im Einsatz für die Arbeiterjugend ein ihn erfüllendes Tä-
tigkeitsfeld gefunden.458 Der Titel seines 1930 erschienenen Hauptwerks,
Oeconomia perennis, erinnert an die thomistische philosophia perennis, die
feste, die Zeit überdauernde Ordnungsgrundsätze in allen Lebensbereichen
annahm. Den Menschen sah Orel nicht nur als biologisches, sondern als
geistiges Wesen an. So wie ein jeder im persönlichen Bereich zu dauerhaf-
ter Gewissenserforschung angehalten sei, müsse auch eine permanente be-
kenntnismäßig ausgerichtete Überprüfung der gesellschaftlichen Grundla-
gen stattfinden. Orel, als dessen prägende, auch auf sein geistiges Schaffen
447 hanisch, Die Ideologie, 27.
448 hoffmann, Ständische Ordnung, 161 und 167 f.
449 hoffmann, Ständische Ordnung, 174.
450 MSchKP 1, 954 (H. bayer).
451 beyer, Ständeideologien, 158 f.
452 KabelKa, Anton Orel, 73–75; neGer, Verfassung, 29; rambouseK, Daten, 46; reichhold, An-
ton Orel, 13 f.; seefried, Reich, 126.
453 busshoff, Berufsständisches Gedankengut, 460.
454 K. luGmayer, Orel, 18.
455 braun, Der politische Lebensweg, 4.
456 Knoll, Der soziale Katholizismus, 14.
457 anZenbacher, Christliche Sozialethik, 144; reichhold, Anton Orel, 9.
458 rambouseK, Daten, 26; reichhold, Anton Orel, 18–25.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN102
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580