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Der faschistische Korporativismus
Es ist hier nicht der Ort, einen umfassenden Vergleich zwischen dem italie-
nischen Faschismus und dem österreichischen Ständestaat vorzunehmen.508
Das Interesse am Thema „Stand“ legt es aber nahe, das italienische Korpora-
tivsystem näher zu beleuchten. Angelpunkt der Überlegungen ist, dass der
Begriff „Korporation“ in Italien auf juristische Aspekte reduziert wurde, so
dass sich ihrem Wesen nach als Instrumente sozialer Integration zu verste-
hende Gebilde zu solchen des zentralistisch-autoritären Staates entwickel-
ten.509 Hinter den einschlägigen Gesetzestexten verbarg sich die Absicht des
Regimes, einen neuen Typ von Staatsbürger zu schaffen.510 Für Österreich
von Belang ist die Umschreibung des Unterschieds zwischen Stand und Kor-
poration durch Johannes Messner: Der Stand gehe von der Gesellschaft aus,
sei etwas „von unten“ Gewachsenes, die Korporation sei ein von staatlicher
Seite, „von oben“, begründetes künstliches Gebilde.511 Aus diesem Grund, so
Franz Rehrl, sei der österreichische Ständestaat „diametral dem faschisti-
schen Staat entgegengesetzt“.512
Die Anfänge des modernen Korporativismus reichen ins 19. Jahrhundert
zurück. Es waren Reaktionen auf diverse von der Französischen Revolution
entwickelte Formen zentraler staatlicher Macht. Als Gegengewicht gegen
den Sozialismus entwickelte sich ein spezifisch katholischer Korporativis-
mus, dem zufolge die Vollmachten der Regierung darauf beschränkt sein
sollten, die Autonomie gesellschaftlicher Gruppen sicherzustellen.513
Die faschistische Bewegung in Italien ist nur in geringem Ausmaß auf
die Ständetheorie des 19. Jahrhunderts zurückzuführen, und auch zum ka-
tholischen Korporativismus bestanden allenfalls äußerliche Parallelen:514 Es
handelte sich in erster Linie um eine Aktionsgemeinschaft zur Gewinnung
und Bewahrung von Macht, die ein militanter Antiparlamentarismus kenn-
zeichnete.515 Zwar wurden die berufsständischen Ideen in Italien anfänglich
innerhalb der katholisch-sozialen Bewegung und in Kreisen der Linken lan-
ciert, aber am Ende erwies sich die philosophische Basis des Vitalismus als
508 Sehr voreingenommen diesbezüglich: mittelmeier, Austrofaschismus, 127 f.
509 osswald, Korporation; J. reiter, Entstehung, 136 f.; tálos, Herrschaftssystem (2013), 578.
510 J. reiter, Entstehung, 16 f.
511 bohn, Ständestaatskonzepte, 22; novotny, Der berufsständische Gedanke, 216; SZ 4. 12.
1932 (J. messner); vgl. wiPPermann, Europäischer Faschismus, 89; wiPPermann, Faschis-
mus, 74 f.
512 CS 4. 2. 1934 (F. rehrl); zu den Unterschieden vgl. reichhold, Geschichte, 496 f.
513 Payne, Geschichte, 56 f.; woller, Rom, 61.
514 scholZ, Italienischer Faschismus, 79.
515 mayer-tasch, Korporativismus, 92.
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 107
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580