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Planwirtschaft, deren Funktionäre einer umfassenden staatlichen Kontrolle
unterstanden. Die Korporationen besaßen keine Autonomie, und das Prob-
lem der Koordination mit den Hierarchien von Staat und Partei konnte nicht
gelöst werden.537
Österreichisch-italienische Beziehungen: Eine fragile Partnerschaft
Nach dem Ersten Weltkrieg übertrug Italien seine historischen Vorbehalte
gegen die Monarchie nicht auf die junge Republik.538 Vielmehr sah man hier
einen Ausgangspunkt für die geplante handels- und wirtschaftspolitische
Expansion im Donauraum.539 Die österreichischen Regierungen bemühten
sich im Bewusstsein der eigenen Schwäche um eine Art Neutralitätspoli-
tik.540
Im Frühjahr 1920 lud der italienische Ministerpräsident Francesco Nitti
den österreichischen Staatskanzler Karl Renner zu Gesprächen über die
Durchführung des Friedensvertrags nach Rom ein.541 Nitti gab zu verste-
hen, dass Italien um die politische Selbständigkeit Österreichs bemüht sein
werde, allerdings zum Preis einer weitreichenden Kontrolle der österreichi-
schen Innen- und Außenpolitik.542 Kurz nach der Romreise berichtete der
Kanzler im Nationalrat über die erfolgreiche Behandlung vieler Fragen.543
Abgeordnete, die eine engere Anlehnung Österreichs an die Westmächte
wünschten, vernahmen derartige Berichte mit Sorge.544 Im März 1921 kam
es zur Einrichtung einer österreichischen Gesandtschaft in Rom.545
Trotz kritischer Stimmen in Österreich über die Brutalität der Faschis-
ten546 galt der von Juni 1921 bis Mai 1922 amtierende Bundeskanzler Jo-
hann Schober als Freund Italiens.547 Sein Nachfolger Ignaz Seipel suchte
537 G. KlemPerer, Konzepte, 51 f.; mayer-tasch, Korporativismus, 111–119.
538 malfèr, Wien und Rom, 13.
539 ADÖ 1/123.
540 Kindermann, Hitlers Niederlage, 62; malfèr, Wien und Rom, 19–21; reichhold, Kampf,
65–69.
541 ADO 3/436.
542 ADÖ 3/438; vgl. Kusstatscher-oberKofler, Beziehungen, 87–92; malfèr, Wien und Rom,
35–42.
543 ADÖ 3/441.
544 ADÖ 3/444.
545 malfèr, Wien und Rom, 29.
546 w. rauscher, Der Aufstieg, 358.
547 haas, Römische Allianz, 71 f.; Kusstatscher-oberKofler, Beziehungen, 338–348; malfèr,
Wien und Rom, 65 und 89–107; schmölZer, Beziehungen, 1–3.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN110
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580