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Nach den Wahlen in Deutschland am 5. März 1933 begann Hitler eine
Art kalten Krieg gegen Österreich mit dem Ziel einer nationalsozialistischen
Durchdringung des Landes.676 Zugleich verstärkte Mussolini seine Bemü-
hungen um Österreich. Bundeskanzler Dollfuß lehnte sich nach wie vor an
ihn an, weil für ihn die Ausschaltung der Sozialdemokratie Vorrang hatte.677
Damals wurden auch die Kontakte zwischen Eugenio Morreale und Star-
hemberg enger, während gegen den Fürsten gerichtete Strömungen in der
Heimwehr Gelder aus Deutschland erhielten. Mussolinis Mittelsmann war
aber auch mit den österreichischen Nationalsozialisten im Gespräch – die
ihn ihrerseits wachsam beobachteten. In Hitlers Bevollmächtigtem Theo Ha-
bicht678 sah er – gleich Starhemberg679 – einen Politiker, der die Situation
dieses Landes aus einer preußischen Perspektive beurteile, also völlig falsch.
Eines der zentralen Anliegen Morreales war es, Starhemberg und Dollfuß
auf eine Linie zu bringen.680
Ab 1933 verloren die Fasci all’estero an Bedeutung; die Propaganda zur
Verbreitung des Faschismus im Ausland übernahmen sogenannte Comitati
d’azione per l’Universalità di Roma (CAUR), die sich zunehmend aggressiver
Methoden bedienten. Im ersten Tätigkeitsbericht für Mussolini vom Oktober
1933 konnte der CAUR-Präsident auf die Gründung zahlreicher Sektionen
und auf Besuche hochrangiger Vertreter der europäischen Rechten verwei-
sen; auch Starhemberg sprach im CAUR-Hauptquartier in Rom vor.681
Ein Diplomat, der vom italienischen Faschismus Gefahren für Österreich
ausgehen sah, war der französische Gesandte in Wien, Gabriel Puaux. Im
April 1936, anlässlich der Unterzeichnung eines österreichisch-französi-
schen Kulturabkommens, würdigte er „die Gemeinsamkeit französischer
und österreichischer Geisteshaltung“. Er sah sie vor allem in der „Achtung
vor der Einzigartigkeit der menschlichen Persönlichkeit“, die eng mit der
Neigung des Österreichers zu Kompromissen und seiner Ablehnung des
Zwangs zu gewaltsamer Vereinheitlichung zusammenhänge. Die Liebe bei-
der Länder zur Kunst sei Ausdruck der Überwindung der „Neigungen und
Leidenschaften des primitiven Menschen“. Das gemeinsame Anliegen der
Errichtung einer christlichen Gesellschaftsordnung komme im Werk von
Frederic Le Play in ähnlicher Weise zum Ausdruck wie bei Vogelsang. Er
676 bertolaso, Die erste Runde, 55–64; Kindermann, Österreich, 44–51.
677 britZ, Die Rolle, 41; colotti, Fascismo, 334 f.; orlando, Rolle, 24–26; Potočnik, Bewusst-
sein, 187–192; schmölZer, Beziehungen, 115 f.; schweitZer, Volkstumsideologie, 15.
678 Vgl. Kindermann, Österreich, 40.
679 starhemberG, Memoiren, 113.
680 P. berGer, Im Schatten, 534; niGlia, Mussolini, 67–71.
681 bauerKämPer, Der Faschismus, 172–175; scholZ, Italienischer Faschismus, 287 und 304–
346. 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN124
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580