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Volksabstimmung zu unterziehen.723 Insgesamt sollte aber Österreich den
deutsch-italienischen Beziehungen nicht hinderlich sein.724
Am 19. Juni ließ Dollfuß dem französischen Außenminister Jean Louis
Barthou gegenüber anklingen, dass der politische Schulterschluss mit Ita-
lien seinen wahren Neigungen nicht entsprach, und forderte Frankreich zu
entsprechendem Einsatz auf.725 Im Gegenzug beklagte sich Mussolini über
die Passivität der österreichischen Bevölkerung.726
Kurz darauf, am 25. Juli 1934, fand in Österreich, wie erinnerlich, der
nationalsozialistische Putsch statt. Dieser bewirkte eine Verschlechterung
der Beziehungen zwischen Deutschland und Italien.727 Eugenio Morreale
hatte von einer geplanten Aktion der Nationalsozialisten schon im Vorfeld
gewusst und sich nach Kräften darum bemüht, sie zu vereiteln.728 Eilig ver-
legte Mussolini sechs italienische Divisionen an den Brenner – eher eine psy-
chologische Geste als eine realpolitisch wirksame Tat.729 Morreale begrün-
dete diesen Akt mit pathetischen Worten.730
Der Duce wusste, dass ein direktes Eingreifen Italiens nicht möglich sei,
weil es die Bevölkerung Österreichs nicht akzeptieren würde. Auch hatte er
im neuen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg keinen so affinen Partner wie
in Dollfuß731; Richard Schüller sprach dies offen aus.732 Allerdings wurden
in Schuschniggs anschließend gebildetem Kabinett Schlüsselpositionen mit
Heimwehrleuten besetzt, und der Kanzler war zur Fortsetzung der Zusam-
menarbeit mit Italien bereit.733
Obwohl er zu wissen glaubte, dass diese Politik bei der österreichischen
Bevölkerung wenig populär sei734, hatte er keine Scheu einzugestehen, dass
er manche Maßnahmen des italienischen Faschismus gutheiße, beispiels-
weise die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe, die Gründung neuer
723 K. schuschniGG, Im Kampf, 176.
724 di nolfo, Rapporti, 71.
725 friedl, Zusatzprotokolle, 66 f; Kindermann, Österreich, 190 und 193.
726 schmölZer, Beziehungen, 102.
727 bauerKämPer, Der Faschismus, 171; bertolaso, Die erste Runde, 225; Kindermann, Hitlers
Niederlage, 139–144; schmölZer, Beziehungen, 103–105 und 140–143.
728 niGlia, Mussolini, 73–75.
729 Der Aufmarsch am Brenner sollte insbesondere Frankreich die starke Position Italiens ge-
genüber Deutschland vor Augen führen; de felice, Breve Storia, 81 f.; di nolfo, Rapporti,
73 f.; Payne, Geschichte, 309.
730 CS 19. 8. 1934 (E. morreale).
731 ara, Österreichpolitik, 114; zur Einschätzung Schuschniggs in Italien vgl. schmölZer, Be-
ziehungen, 143 f.
732 nautZ, Unterhändler, 153.
733 orlando, Rolle, 26–29.
734 K. schuschniGG, Requiem, 227.
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 129
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580