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Wirtschaftspolitik und gegen den Klassenkampf hieß er gut, so wie er dessen
Entstehung als Reaktion auf eine Reihe von im Gefolge von 1789 entstandenen
Missständen nachvollziehen konnte. Ausführlich beschrieb er dessen Werte,
die größtenteils auch die seinen waren: Familie, Kirche, ständische Gliede-
rung, Aufopferung, Bereitwilligkeit, unermüdliche Tätigkeit, Vorrang der
Pflichten vor den Rechten, Autorität, Disziplin, Hierarchie. Er gab aber zu be-
denken, dass ein korporatives Wirtschaftssystem nicht notwendiger Weise in
einen faschistischen Staat münden müsse: Die Idee des Ständestaates knüpfe
an das katholische Mittelalter an, in welchem keineswegs alle organisierten
wirtschaftlichen und geistigen Kräfte dem Staat eingegliedert gewesen seien
und dem die Vorstellung des Nationalen fremd gewesen sei. Dass im gegenwär-
tigen Italien auch genuin katholisches Gedankengut zum Tragen komme, be-
grüßte er, aber er wusste, dass dies teilweise „ungewollt“ so sei, und sah daher
Anlass, ausdrücklich zu fordern, die faschistischen Strukturen sollten Raum
für geistig-religiöses Apostolat bieten.849 Entsprechend wichtig war es ihm,
1927 anlässlich des Erscheinens der Carta del lavoro die Haltung der Katholi-
ken zu dieser Form der strengen staatlichen Regelung der Wirtschaft kritisch
zu beleuchten.850 Drei Jahre später hatte er sich mit dem zunächst skeptisch
beobachteten System versöhnt. Obwohl die Korporationen 1930 noch gar nicht
formell bestanden, würdigte er sie als Garanten des sozialen Friedens, die sich
Hauptgedanken der katholischen Soziallehre zueigen gemacht hätten. Es be-
stünden ein gesunder Idealismus und echte „Geistgläubigkeit“; das im Ausland
kolportierte Bild von der faschistischen Diktatur sei falsch.851
Eine nüchterne Beurteilung der Lage kam 1929, anlässlich des siebten
Jahrestags des Marsches auf Rom, von Leopold Weismann, der im NR die
Grundstruktur des Faschismus in Wirtschaft und Gesellschaft erläuterte:
Diese zu kennen, so die Schriftleitung in einer Vorbemerkung, sei auch für
die Gegner wichtig. Der Verfasser selbst bezeichnete als Kernprobleme den
umfassenden Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und die massiven Ein-
griffe in die Privatsphäre der Bürger.852 Er hielt es für verfehlt, das Ideal der
Gleichheit für wichtiger zu halten als jenes der Freiheit; auch die faschisti-
sche Aufforderung, viele Kinder zu zeugen, billigte er nicht.853
1934 erschienen auch im CS faschismuskritische Beiträge. Rudolf Stanka
fehlte bei allem Verständnis für die Ursachen des Faschismus (die bekann-
849 NR 10. 7. 1926 (G. B. valente).
850 NR 7. 5. 1927 (G. B. valente).
851 NR 16. 8. 1930 (G. B. valente).
852 Der Organisationsgrad der Bevölkerung war in der Tat hoch; bauerKämPer, Der Faschis-
mus, 55; schieder, Der italienische Faschismus, 66.
853 NR 26. 10. 1929 (L. weismann).
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 143
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580