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An die Grenzen des berufsständischen Modells führt Felix Klezl Freiherr
von Norberg, nicht aus politisch-weltanschaulicher, sondern aus wirtschafts-
wissenschaftlicher Sicht. Angelpunkt seiner auch für Vertreter des ganzheit-
lichen Denkens überzeugenden963 Argumentation ist die den Erfordernissen
der Zeit geschuldete Einsicht, dass „in den Kulturstaaten“ mittlerweile der
Betrieb an die Stelle des Berufs getreten sei.964 „Beruf“ habe die persönli-
che Tätigkeit im Auge, „Betrieb“ die sachlichen Erfordernisse.965 Beruf sei
eine eine „soziale“, Betrieb eine „technische“ Kategorie; das Referat der in
der volkswirtschaftlichen Literatur gängigen Sichtweisen nahm er als Gele-
genheit wahr, seine eigene Präferenz für Lösungen zu artikulieren, die das
Hauptgewicht auf das Zusammenwirken personaler und sachlicher Fakto-
ren legten.966 Die Untersuchung der Begriffe im statistischen Schrifttum ließ
ihn die Hinwendung zu einem vornehmlich wirtschaftlich definierten Be-
rufsbegriff seit 1890 feststellen.967 Dass sich die Arbeitsabläufe im industriel-
len Zeitalter völlig veränderten, reichte für Klezl nicht aus, sich der mitunter
erkennbaren Tendenz anzuschließen, die Betriebsorganisation als bolsche-
wistisches, die Berufsorganisation als bürgerliches Prinzip zu betrachten.
Er war einer jener vielen Zeitgenossen, für die der Marxismus denselben
Grundprinzipien folgte wie der Kapitalismus (Kap. 4.1). Die Studie endet
mit einem vorbehaltlosen Bekenntnis zur Arbeit: „Das Paradies der Mensch-
heit hat erst in dem Augenblick begonnen, in dem sie zur ewigen Arbeit ver-
dammt wurde“968, also völlig anders als die auch in der Ausbildung der Theo-
logen wichtige Abhandlung von Josef Biederlack SJ von 1895, für den Arbeit
Mühsal bedeutete, ja eigentlich nur die Folge der Sünde der Stammeltern
war.969
Die Rezeption ständetheoretischen Denkens aus den Nachbarländern in
Österreich, insbesondere aus Deutschland970, kann an dieser Stelle keine
systematische Berücksichtigung finden. Von Interesse ist aber, dass ein-
schlägige Ansätze in der Ukraine zur Kenntnis genommen wurden. Im StL
wurde 1934 eine Arbeit von Wjaczeslaw Lipinsky vorgestellt. Der 1918–1931
als Gesandter seines Landes in Wien tätige Verfasser vertrat eine „klasso-
kratische“, den Verhältnissen der Ukraine angepasste berufsständische
Idee, die Staat und Gesellschaft in untrennbarer organischer Verbindung
963 StL 1935, 524–526 (W. heinrich).
964 KleZl, Beruf, Vorwort, nicht pag.
965 KleZl, Beruf, 26–42.
966 KleZl, Beruf, 1–12.
967 KleZl, Beruf, 13–25.
968 KleZl, Beruf, 98.
969 Vgl. Kustatscher, Haus und Familie, 170.
970 Vgl. bohn, Ständestaatskonzepte, passim.
3.6 BERUFSSTÄNDISCHE ENTWÜRFE 161
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580