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kommentierte989, stützt diese Annahme. Auch der ihm nahestehende Bun-
despräsident Miklas990 hieß die Verfassung nicht gut.991
Die Präambel hob vier Prinzipien hervor: christlich, deutsch, bundesstaat-
lich, ständisch.992 Die Berufung auf Gott, „von dem alles Recht ausgeht“,
stand in Einklang mit der obrigkeitsstaatlichen Formulierung, das öster-
reichische Volk „erhalte“ diese Verfassung. Die am Konstitutionalismus
orientierten rechtsstaatlichen Prinzipien konnten durch einschränkende
Klauseln ad absurdum geführt werden.993 Das ständische Prinzip kam außer
in der Präambel in drei Artikeln zur Sprache (2, 32, 48), also insgesamt we-
nig.994 Die Bundesländer hatten ungeachtet theoretischer Bekenntnisse zum
Föderalismus (Kap. 8.4) wenig Handlungsspielraum; die Landeshauptleute
hingen faktisch vom Kanzler ab. Auch die Selbstverwaltung der Gemeinden
war sehr eingeschränkt.995
Die Gesetzesinitiative lag allein bei der Bundesregierung. Innerhalb der-
selben besaß der Kanzler eine so große Machtfülle, dass sich die Bezeich-
nung „Kanzlerdiktatur“ etabliert hat.996 Die Vorrangstellung der Exekutive
gegenüber der Legislative und die personelle Verflechtung zwischen Bun-
desregierung und Bundesgesetzgebung verleihen der Maiverfassung einen
autoritären Charakter.997
Ingesamt hat man sich die Systemtransformation als langsamen Prozess
vorzustellen, über den wenig Klarheit herrschte.998
989 MSchKP 2, 965–968 (O. ender); vgl. wohnout, Die Verfassung, 29.
990 Er bezeichnete Ender als „seinen“ Mann; lanG, Bundespräsident Miklas, 160.
991 lanG, Bundespräsident Miklas, 186.
992 diamant, Katholiken, 243; binder/wohnout, Das autoritäre Regierungssystem, 151.
993 brauneder, Verfassungsgeschichte, 235–239; hoor, Österreich, 111; huber, Die Verfas-
sung, 83 f.; JuffinGer, Politischer Katholizismus, 50 f.; neGer, Verfassung, 53–55; Put-
scheK, Ständische Verfassung, 28 f. und 195; senft, Im Vorfeld, 140–142; tálos/manoscheK,
Aspekte, 126 f.; wiederin, Die Rechtsstaatskonzeption, 85–91; wohnout, Anatomie, 968 f.
994 böcK, Öffentlichkeitsarbeit, 166; Kraus, „Volksvertreter“, 82–88; orGler, Ständestaat, 175
f.; wohnout, Die Verfassung, 28 f.
995 brauneder, Verfassungsgeschichte, 243–247; hoor, Österreich, 111; P. huemer, Entste-
hung, 598; schober, Tirol, 406–410.
996 neGer, Verfassung, 64–66; senft, Im Vorfeld, 144–149; steiner, Wahre Demokratie?, 148;
tálos/manoscheK, Aspekte, 126–131; wohnout, Anatomie, 964–968; wohnout, Regierungs-
diktatur, 178; wohnout, Die Verfassung, 30.
997 hoor, Österreich, 111; Kraus, „Volksvertreter“, 226.
998 die neue österreichische verfassunG, 13; huber, Die Verfassung, 92; senft, Im Vorfeld, 50 f.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN164
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580