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Wesen der Gesellschaft verkenne und zu jener „absoluten Demokratie“ führe,
an der die Gegenwart kranke.31 Von den Mandataren distanzierten sich am
klarsten Hans Karl Zeßner-Spitzenberg32 und Clemens Holzmeister.33
Friedrich Funder34, Otto Ender35 oder Johann Stigleitner sahen einen
Zusammenhang mit der republikanischen Verfassung: Die Haltung, in der
Gesellschaft nur die Summe der Einzelwesen zu sehen, so Letzterer, sei in
Republiken eher anzutreffen als in Monarchien. Sein Ideal war der Univer-
salismus mit dem Bild des Ganzen, das mehr sei als die Summe der Teile.36
Für Rudolf Henz stellten die „perfekten Individualisten, die Prometheus als
ihren Gott verehren“ und die „Massenmenschen, die ihren Henkern zuju-
beln“37, nur zwei Seiten ein und derselben Medaille dar; beide hätten auch
den Leviathan begünstigt.38 Im omnipotenten Staat, der der gestaltlosen
Masse Herr werden müsse, sah er eine Wurzel des Nationalsozialismus.39
Die Zeitschrift StL machte auf negative wirtschaftliche Folgen des Indivi-
dualismus aufmerksam.40 Hermann Struber beschrieb den Nexus zwischen
Wirtschaft und Ethik: Die Weltwirtschaftskrise habe „Habsucht und Eigen-
nutz in einer hemmungslosen Weise“ gefördert, die Inflation die Sparer zu
Bettlern gemacht, die Schuldner hingegen entlastet und deren „Moral“ zer-
stört.41 Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi sprach von einem „sittliche(n)
Verfall“ der Wirtschaft.42
Durch den Egoismus der zu echten sozialen Bindungen unfähig geworde-
nen Individuen, so der Tenor aller genannten Äußerungen, sei der Gesell-
schaftsvertrag notwendig geworden, in seiner Substanz die Mitte zwischen
Despotismus und Anarchie und mit keinerlei höherer Autorität ausgestattet,
das, was es brauche, wenn das Soziale nicht mehr in der Natur des Men-
schen gesehen wird43 und wenn das Ganze seine Priorität gegenüber den
31 SZ 27. 6. 1926 (J. eberle).
32 CS 3. 5. 1936 (H. K. Zeßner-sPitZenberG).
33 Knofler, Clemens Holzmeister, 30.
34 W. lorenZ, Funder, 9.
35 mosser, Legitimismus, 107.
36 stiGleitner, Volkswirtschaftslehre, 16 f.
37 Zit. nach suchy, Utopie, 227.
38 henZ, Österreich, 60; vgl. rembold, Das Bild, 111–116.
39 henZ, Fügung, 94.
40 StL 1931, 145–148 (F. mücK).
41 struber, Österreichs Wiederaufbau, 44; ähnlich rintelen, Erinnerungen, 173; vgl. newman,
Zerstörung, 294.
42 coudenhove-KalerGi, Held, 116.
43 KlotZ, Probleme 2, 157; vgl. hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 184 und
224; PelinKa, Die politische Theorie, 17; A. rauscher, Die soziale Natur, 29–31; rembold,
Das Bild, 355. 4. DIE POLITISCH-GESELLSCHAFTLICHE LAGECHER
KREISE184
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580