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währt habe bzw. ob er häufig abwesend gewesen sei. Derzeit sei es so, dass
einige wenige übermäßig viel arbeiteten, während der Großteil nur selten
erscheine und auch nicht die nötige fachliche und moralische Qualifikation
besitze.220 Diese in späteren Jahrgängen wiederholte und in der SZ ebenfalls
aufgegriffene Position221 deckte sich mit den Einschätzungen Walter Hein-
richs.222
Dienst am Gemeinwohl bedeutete auch, wie Josef Biederlack SJ schon
1920 dargelegt hatte, die Fähigkeit, sich über Einzelinteressen des Stimm-
volks hinwegzusetzen. In den Augen des Innsbrucker Sozialwissenschafters
war diese – neben entsprechenden Geistesgaben und der Gebundenheit an
das christliche Sittengesetz – eines der entscheidenden Kriterien bei der
Auswahl der Parlamentarier.223 Sei sie nicht vorhanden, würden, wie es
Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi ausdrückte, aus den Parlamentariern
„Geführte statt Führer“, abhängig von den unvernünftigen Leidenschaften
der Massen.224 Die Durchsetzung unpopulärer Maßnahmen im Staatsinte-
resse bezeichnete er als eines der zentralen Probleme des Parlamentaris-
mus.225 In der Wahrnehmung von Eugen Margarétha beherrschten diese
Kunst insbesondere die Bundeskanzler Seipel und Dollfuß, die Österreich,
gegen den Widerstand politischer Gegner, zu Völkerbundanleihen verholfen
hätten.226
Im NR wurden Bedenken gegen die bei demokratischen Wahlen stets
präsente Sorge um die Wählergunst laut, durch die, so Max Freiherr von
Hussarek, die Verantwortlichkeit des Einzelnen leide und das Pflichtgefühl
„mediatisiert“ werde.227 Eugen Margarétha sprach Formen der Demagogie
an und nannte Beispiele für die Unterlassung notwendiger Maßnahmen aus
Furcht vor den Wählern. Die nach 1918 sichtbar gewordenen Missstände
des Parlamentarismus beschrieb er mit Begriffen wie „Obstruktion“, „Ver-
leumdung“, „Verunglimpfung von Personen“.228 Obstruktion hemmte auch
für Josef Reither das Wirken der gesetzgebenden Körperschaften.229 Franz
Rehrl bezeichnete die politischen Auseinandersetzungen der zwanziger und
220 NR 30. 1. 1921.
221 SZ 17. 5. 1931 (A. missonG).
222 dassel, Gegen Parteienstaat, 9–21.
223 NR 29. 2. 1920 (J. biederlacK); ähnliche Appelle NR 29. 11. 1930.
224 coudenhove-KalerGi, Held, 129.
225 coudenhove-KalerGi, Totaler Mensch, 56.
226 CS 16. 12. 1934 (E. marGarétha).
227 NR 7. 11. 1920 (M. v. hussareK); 27. 12. 1924 (M. v. hussarecK); 6. 10. 1928 (Ae. schöPfer).
228 CS 16. 12. 1934 (E. marGarétha).
229 KluGe, Bauern, 324. 4. DIE POLITISCH-GESELLSCHAFTLICHE
LAGE200
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580