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Ein Mandatar, der – bei aller Kritik, die sich auch ihm aufdrängte – ein
positives Verhältnis zu den Parteien hatte, ist Carl Vaugoin. Obwohl er sich
an der Propaganda für die VF beteiligte, hielt er an der organisatorischen
Eigenständigkeit der CSP fest.277
Mit Einschränkungen gilt dies auch für Franz Rehrl. 1930 warnte er
davor, den Parlamentarismus pauschal zu verwerfen, nur weil in einigen
Ländern das Volk noch nicht reif dafür sei; man müsse an das Bestehende
anknüpfen und sich vor Augen halten, dass die eigentliche Stätte der Le-
gislative die Parlamentsausschüsse seien; diesen könnte man Vertreter der
Berufe (als Fachleute) beistellen, die dasselbe Stimmrecht haben sollten wie
die gewählten Volksvertreter.278 Aber er war überzeugt, dass die Stände den
sozialen Konflikt nicht gänzlich abschaffen könnten.279 In einem Zeitungs-
artikel vom Februar 1934 erläuterte er, den politischen Parteien müsse ge-
nommen werden, was sie sich zu viel an Staatsgeschäften angemaßt hät-
ten.280
Florian Födermayr deutete zwar den häufigen Wechsel der Regierungen
als Versagen des Parlamentarismus281, aber grundsätzlich war auch er nicht
gegen die Demokratie; mit Bezug auf die frühen zwanziger Jahre stellte
er fest: „Wir hatten die demokratische Republik, aber zu wenig wahrhafte
Demokraten.“282 Als Verehrer Seipels schätzte er dessen Eintreten für die
„wahre Demokratie“283, und er nahm in Kauf, was Ernst Karl Winter heftig
kritisierte284, nämlich dass dadurch dem Autoritarismus Vorschub geleistet
wurde.285 Große Wertschätzung empfand Födermayr für den Vorarlberger
Politiker Jodok Fink, den ersten Vizekanzler der Republik Österreich und
späteren Klubobmann der CSP, dem er einen „wahrhaft demokratische(n)
Standpunkt“ bescheinigte; er habe stets die Bedeutung des Wählers unter-
strichen und sich gegen die Ernennung von Kandidaten durch Funktionäre
ausgesprochen; „parteipolitisches Vordrängen einzelner Streber“286 habe in
ihm Misstrauen aufkommen lassen. Alles in allem könne er als einer der
277 staudinGer, Bemühungen, 370; staudinGer, Vaugoin, 156.
278 NR 3. 5. 1930 (F. rehrl).
279 H. dachs, Franz Rehrl, 252; hanisch, Franz Rehrl, 24.
280 H. dachs, Franz Rehrl, 247 f.
281 födermayr, Vom Pflug, 65.
282 födermayr, Vom Pflug, 28.
283 födermayr, Vom Pflug, 27; vgl. K. v. KlemPerer, Ignaz Seipel, 109; orGler, Ständestaat,
124; wandrusZKa, Struktur, 326.
284 heinZ, E. K. Winter, 118.
285 busshoff, Dollfuß-Regime, 180 f. P. huemer, Entstehung, 580; iber, Vom Syllabus, 41;
rumPler, Parlamentarismus, 13; wohnout, Regierungsdiktatur, 45.
286 födermayr, Vom Pflug, 127.
4.2 KRITIK AN DER PARLAMENTARISCHEN DEMOKRATIE 205
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580