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schienene Buch Die Ständeordnung des Alls von Leopold von Andrian. In
einem kleinen Kreis katholischer Intellektueller sehr begrüßt, erreichten
seine Gedanken allerdings keine Breitenwirkung.100 Für die vorliegende Ar-
beit ist dieses Werk insofern von Belang, als es die Gesellschaftslehre in
eine kosmische Gesamtschau eingliedert.101 In Anlehnung an Thomas von
Aquin wurde die Welt als eine auf Gott hingeordnete Hierarchie des Seins
definiert: Ordnung ist somit per se ständisch. In seiner „metaphysischen
Wesensschau“102 unterschied der Dichter nach dem Grad des Bewusst-
seins sechs Seinsstufen: anorganisches Individuum, Protist, Pflanze, Tier,
Mensch, Engel.103 Auf der untersten Stufe sei das Bewusstsein bloß deskrip-
tiv; dann gelange es über Bewertung und Gliederung zum Einblick ins We-
sen der Welt.104 Diese „primären Mächte des Alls“ würden ergänzt durch die
sogenannten „Quasisubstanzen“, allen voran Gesetz und Natur, außerdem
die katholische Kirche, für ihn die wichtigste Ordnungsmacht, schließlich
Stand und Hierarchie.105
Der Nexus der hier vorgestellten Gedanken mit dem politischen System
der dreißiger Jahre ist evident, aber er wurde auch explizit begründet: „Wie
die ständischen Abgeordneten einer gesitteten Nation diese vor dem Throne
ihres Königs vertreten, so fassen die sechs [...] Seinsstufen [...] die zahllo-
sen primären Mächte des Alls zusammen und gewähren dem [...] Menschen-
geist ein [...] gegliedertes und ausgeführtes Weltbild.“ Dieses Bild der Welt
sei noch flächig; plastisch werde es, „wenn die essentiell sozialen Individuen
und Stände in ihrem Verkehr untereinander und in ihrer Totalität [...] als
großer Komplex von Ursachen und Wirkungen im weitesten Wortsinne be-
trachtet werden“.106 Mit Blick auf die politische Realität sind auch Details
dieses Gedankengangs von Interesse: Der Rang aller Wesen werde durch
den Grad der Gottähnlichkeit bestimmt; da die Geschöpfe nur Teile von den
Vorzügen des Schöpfers besäßen, entstünden in der geschöpflichen Welt
konkurrierende Ränge; es lasse sich aber keine gerade absteigende Hierar-
chie der Wesen erkennen, weil es sich um ein sehr komplexes Phänomen
handle, in dem Potentialität und Aktualität miteinander konkurrierten.107
Dem Menschen seien „die Einzelheiten der göttlichen Hofordnung“ bis auf
einige wenige, die er instinktiv erfasse, verschlossen. Jeder Stand besitze
100 Prutsch/ZeyrinGer, Leopold von Andrian, 490.
101 dorowin, Retter, 101 f.
102 v. andrian, Ständeordnung, 46.
103 schumacher, Leopold Andrian, 104.
104 v. andrian, Ständeordnung, 48–50.
105 dorowin, Retter, 102; schumacher, Leopold Andrian, 105–111.
106 v. andrian, Ständeordnung, 186.
107 v. andrian, Ständeordnung, 198.
5.3 FREIHEIT UND ORDNUNG 221
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580