Seite - 224 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 224 -
Text der Seite - 224 -
in die Kultur also „wesensmäßig mit seinem geistigen Sein und Werden ein-
gebettet“.130 Für Anton Orel war geistiges Ordnen das Erkennen von Ord-
nung, deren Abstraktion gleichbedeutend mit Denken.131 Wolfgang Höfler
unterschied ebenfalls mehrere Seinsstufen: Auf der untersten herrschten die
reinen Akzidentien vor, als die höchste definierte er die „personale Seins-
schicht“. Dem aristotelischen Kategoriensystem verpflichtet, lehnte er eine
einzig auf Akzidentien sich beziehende Philosophie ab.132 Georg Moth sprach
von einer „Rangordnung“ der „irdischen Kulturgüter [...], an deren unterster
Stufe der leblose Stoff, an deren Spitze das rein geistige Wesen“ stehe.133
Ansätze eines kosmischen Ordnungsbegriffs sind auch bei Franz Brandl
zu erkennen. Er sprach von einer im Plan Gottes liegenden Harmonie zwi-
schen Volk, Staat und Religion: Als Reaktion auf deren Störung beschrieb er
eine Reihe historischer Staatsprozesse, wie beispielsweise jene gegen Sok-
rates, Catilina, Girolamo Savonarola oder Joseph von Hormayr.134 Der Poli-
zeijurist forderte freilich nicht letzte Perfektion: Einen Romanprotagonisten
ließ er im Gespräch über Leibniz erklären, mit der besten aller Welten habe
der Philosoph die relativ beste gemeint, denn „zur absolut besten fehlt es der
unsrigen an allen Ecken und Enden“.135
Ähnliche Gedanken begegnen bei vielen Autoren der Inneren Emigra-
tion136, denen die Suche nach einem zeitenthobenen tieferen Sein, etwa in
der Ordnung der Natur, die Selbstbehauptung im totalitären Staat erleich-
terte.137 In den Augen von Rudolf Henz wurden durch den Nationalsozia-
lismus „herrliche Begriffe aus dem Organismus der Weltordnung gerissen,
zum Absoluten erhoben und damit in Gegensatz zu dieser Ordnung ge-
stellt“.138 Als Darsteller des Geschehens um die Jünger Jesu hatte er seine
eigene Zeit vor Augen, die er als chaotisch empfand – und an die er daher
die Mahnung richtete, sich willig einzuordnen in die Ordnung der ewigen
Dinge und Zusammenhänge.139 Und wenn er, in einem anderen Roman, Pe-
ter Anichs Vater, einen Drechsler, im Gespräch über moderne Altarbauten
feststellen ließ, die moderne Kunst sei „närrisch verdreht“, so führte er dies
darauf zurück, dass die Menschen „das einfache, das gottgegebene Leben
130 messner, Ordnung, 8.
131 reichhold, Anton Orel, 17.
132 höfler, Bleibende Stände, 227–231.
133 moth, Neu-Österreich, 47.
134 brandl, Staatsprozesse, 437.
135 brandl, Ein Reich, 125.
136 Zur Problematik des Begriffs vgl. strobel, Aristokratischer Rückzug, 354.
137 wöGerer, Innere Emigration, 57 f.
138 henZ, Mysterium, 224.
139 O. M. fontana, Einleitung, 14. 5. DER MENSCH IST
PERSON224
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580