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Der körperliche und der geistige Mensch
Oswald Spengler bezeichnete es als einen der Vorzüge der Standes, dass sich
der Mensch in ihm über die Mächte der Natur erheben könne: „Noch als
Rasse [...] wird [Kursivsatz im Or.] er gezüchtet; als Stand aber züchtet er
sich selbst, [...] und eben das ist im höchsten und letzten Sinne Kultur.“214
Otto Brunner sah eine Analogie zwischen der Herrschaft der Vernunft über
die Triebe und jener des Vaters über das Haus bzw. des Staatsmannes über
die Polis; aus dieser Trias resultierten die drei Säulen des (altständischen)
Gesellschaftsbildes, Ethik, Ökonomik und Politik.215
Dietrich von Hildebrand unterstrich in Anlehnung an Aristoteles und an
Thomas von Aquin, die Materie habe gegenüber dem Leben dienende Funk-
tion – und dieses, einschließlich des Psychischen, gegenüber der geistigen
Person. Das Leben stehe zwischen Materie und Geist, die nicht direkt auf-
einander Bezug nehmen könnten.216 Der Organismus sei nicht ein Nebenei-
nander, sondern ein Ineinander verschiedener Kräfte. „Nur der blinde, ehr-
furchtslose Blick vermag nicht zu sehen, dass hier eine an Sinn und Wert der
Materie überlegene Stufe vorliegt. Den tiefsten Adel des Lebens aber erfas-
sen wir erst, wenn wir das Leben im Menschen betrachten, seine dienende
Rolle gegenüber der erkennenden und liebenden geistigen Person. Was ist
alles pflanzliche und tierische Leben im Vergleich zur holden Lebensfülle,
die uns in einem bewussten, zu sinnvollen Akten befähigten Wesen entge-
gentritt?“217 Man könne das Seelenleben nicht physiologisch erklären – wes-
wegen auch Sigmund Freuds Lehre nicht stichhaltig sei.218 „Die heutige
Vergottung [...] der vitalen Sphäre im Menschen“ und „mechanische(n) Ma-
terialismus und aufklärerische(r) Ehrfurchtslosigkeit“ lehnte er ab.219
Im Liberalismus sah von Hildebrand einen „Aufstand gegen den Geist“220,
eine „Diskreditierung der geistigen Person“. Der dadurch verschuldete „per-
niziöse Antipersonalismus“ drohe „die gesamte abendländische Kultur zu
untergraben“.221 Als Inbegriff einer geradezu „radikalen Ungeistigkeit“ be-
zeichnete er Bolschewismus und Nationalsozialismus.222 Ernst Karl Winter
214 sPenGler, Untergang, 967.
215 brunner, Die Freiheitsrechte, 188.
216 v. hildebrand, Memoiren, 187–189.
217 v. hildebrand, Memoiren, 186.
218 v. hildebrand, Memoiren, 336.
219 v. hildebrand, Memoiren, 185; vgl. v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 70; seefried, Reich, 212.
220 v. hildebrand, Memoiren, 198; vgl. seefried, Reich, 213.
221 v. hildebrand, Memoiren, 192; vgl. Seefried, Reich, 230.
222 v. hildebrand, Memoiren, 35; v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 69; vgl. KuGler, Die frühe
Diagnose, 158. 5. DER MENSCH IST
PERSON232
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580